Wieso unsere Wackelzahnkinder uns während Corona so sehr brauchen
Alle bekommen gerade Aufmerksamkeit. Unternehmen, Restaurants, kinderlose Menschen. Bei Familien wird es schon dünner mit der Aufmerksamkeit, sie sind so ein Randthema, das irgendwie mitverhandelt wird. Aber größtenteils mogeln wir uns halt allein durch. Unsere Kinder bekommen Aufmerksamkeit von uns, klar. Aber so global gesprochen ist es eher ruhig. Da ist der Fokus nicht auf Kindern, sondern auf allem anderen.
Mich macht das wütend, euch vermutlich auch. Ich könnte jetzt über viele Dinge schreiben, die falsch laufen, wo unsere Kinder Unterstützung brauchen. Aber weil ich es gerade insbesondere so sehr an meinem eigenen Wackelzahnkind sehe, will ich den Fokus heute mal auf die Vor- und Grundschulschüler*innen richten.
Wackelzahnkinder: Die Einschulung steht bevor
Meine Tochter wird dieses Jahr eingeschult. Sie hat sich bis Anfang April sehr drauf gefreut. Sie hat mir erzählt wie sehr sie sich auf die Schule freut, was sie alles lernen und wen sie kennenlernen wird. Wir hatten ihr versprochen einen Schulranzen auszusuchen, eine Einschulungsfeier zu veranstalten, an der all ihre Freund*innen teilnehmen können. Das volle Programm eben, eingeschult wird man nur einmal im Leben.
Plötzlich alles anders
Als Anfang April so richtig klar wurde, dass es auf absehbare Zeit kein zurück in die altbekannte Realität geben wird, da hat sich auch in meiner Tochter etwas verändert. Wir sprachen viel darüber, es wurde klar: Es wird keine Kita-Ausflüge mehr geben. Kein Kita-Abschiedsfest. Keine Einschulungsfeier. Stattdessen ist sie jeden Tag mit neuen Unsicherheiten konfrontiert, weil nicht klar ist, wie es überhaupt weitergeht.
Wackelzahnkinder dürfen wieder in die Kita
In Berlin dürfen seit letzter Woche die Vorschulkinder und ihre Geschwister wieder in die Kita. Das bedeutet, theoretisch, dass alle drei meiner Kinder wieder ein Stück Alltag bekommen. Praktisch gehen nur die zwei älteren für wenige Stunden in die Kita, der Jüngste war beim Lockdown mitten in der Eingewöhnung und Eingewöhnung ist gerade keine Priorität. Es hat sich für uns Eltern also wenig geändert, aber darum soll es heute hier nicht gehen.
Freude auf ein Stück Normalität
Mein Wackelzahnkind hat sich so auf ihre Kita gefreut. Endlich ein Stück bekannten Alltag, endlich ihre Erzieher*innen wieder sehen, die Freund*innen. Wir versuchten im Vorfeld mehrfach darauf hinzuweisen, dass das mit dem Alltag wohl nicht ganz so wie erwartet sein wird. Aber wie Wackelzahnkinder so sind: Sie glauben Eltern ja nicht unbedingt, sie sind davon überzeugt, es selbst besser zu wissen. Das ist typisch für die Wackelzahnpubertät und daran ändert auch Corona nix.
Nicht mehr wie früher
Sie ging also mit ihrem Bruder in die Kita und alles war anders. Die meisten anderen Kinder waren nicht dort (wir sind in einer altersgemischten Kita), die Abläufe waren anders. Die Erzieher*innen sind mit Regeln beschäftigt, das geliebte gemeinsame Frühstück findet nicht statt. Meine Tochter fühlt sich laut eigener Aussage verloren, sie sehnt sich nach Altbekanntem und es ist fast nichts mehr davon übrig.
Wackelzahnkinder sind nicht rational
Natürlich ist sie mit ihrem Wunsch nach Normalität nicht allein, wir alle wünschen uns das. Aber wir Erwachsene sind eben auch groß und rational. Unsere Wackelzahnkinder sind genau in dieser Phase, in der sie wachsen und gleichzeitig groß und klein sein wollen. Sie brauchen unseren Halt, unsere Rückversicherung, dass wir da sind. Und gleichzeitig wollen sie ihre Verletzungen gar nicht mehr unbedingt mit uns teilen.
Wütende Wackelzahnkinder
Gerade im Moment sind unsere Wackelzahnkinder unfassbar wütend, weil sich so viel ändert. Wer kann es ihnen verübeln. Deswegen müssen wir sie umso intensiver durch diese Zeit begleiten. Ich bin dazu übergegangen, Zeit allein mit meiner Tochter zu verbringen, spazieren gehen ist ja erlaubt. Und sie begleitet mich zu Einkäufen, um dann vor der Tür auf mich zu warten. Das liebt sie und macht sie stark, weil sie weiß, dass ich ihren Brüdern das niemals erlauben würde. Sie spürt, dass ich wahrnehme, wie groß sie geworden ist. Mein Vertrauen in sie stärkt sie und sorgt bei uns für Entspannung. Weil sie, wenigstens für einige Momente, nicht wütend ist, sondern sich gesehen fühlt.
Fragen zur Einschulung
Unsere Vorschulkinder haben viele Fragen über die Schule. Ich habe keine Antworten, leider. Wir haben von der Schule keine Nachricht was wann wie passiert oder eben nicht. Ich weiß von Freundinnen, deren Kinder Schnuppertage an der neuen Schule machen, bei denen eine Einschulungsfeier in der Schule stattfinden wird. Ich freu mich für sie, aber ich sorge mich auch um mein Kind. All die Vorfreude ist dahin, es bleiben viele Fragezeichen und vor allem Angst. Die ich ihr kaum nehmen kann, weil ich nicht erklären kann, was passieren wird. Meine Einschulung ist 30 Jahre her, und wenn ich ihr davon erzähle, dann findet sie das interessant, aber es hilft nicht.
Hilflose Wackelzahnkinder
Und weil Wackelzahnkinder sich in der aktuellen Situation ebenso hilflos fühlen wie wir alle, werden sie wütend. Laut und auf der Suche nach Streit. Oder sie sind plötzlich wieder extrem anhänglich und behaupten, Dinge, die sie total gut konnten, plötzlich nicht mehr beherrschen. Sie brauchen uns als ihre Rückversicherung, ihren Fels in der Brandung. In diesen unsicheren Zeiten sind wir die Konstante, weswegen es wichtig ist, dass wir verlässlich handeln.
Bleibt verlässlich!
Habt ihr immer verboten, dass im Wohnzimmer gegessen wird? Dann gilt das auch weiterhin, egal wie müde ihr von den Diskussionen seid. Gab es jeden Freitag Nudeln mit Tomatensoße? Dann haltet daran fest, es sind die Gewohnheiten, die euren Wackelzahnkindern jetzt Sicherheit geben. Klar seid ihr am Limit, ich verstehe das. Aber nehmt euch trotzdem die Zeit eure Wackelzahnkinder zu fragen, was sie gerade beschäftigt. Und hört wirklich zu. Es geht nicht darum, dass ihr eine Lösung findet, aber darum, zuzuhören.
Das Leben mit Wackelzahnkindern ist toll!
Das Zuhören ist übrigens großartig, finde ich. Wie schlau unsere Wackelzahnkinder sind, das ist wirklich unfassbar. Mir helfen diese Gespräche auch immer dabei durchzuatmen und mich darauf zu besinnen: Alles wird gut. Weil unsere Kinder ganz wunderbare Kinder sind, die, mit unserer Liebe und Unterstützung, alles meistern werden. Auch wenn sie selbst ab und zu zurzeit daran verzweifeln.