Jan-Ole Gerster: „Der Vergleich ist der Tod jeden Glücks“

Meine Review zu „Islands“ habt ihr hoffentlich schon alle gelesen, pünktlich zum Filmstart gibt es jetzt noch das Interview mit dem Drehbuchautor & Regisseur Jan-Ole Gerster. Ihr kennt vielleicht seine anderen, sehr sehenswerten Filme „Oh Boy“ oder „Lara“. Wir sprachen bei unserem Treffen über den Film, Planung in Zeiten von Kindern und warum wir so selten mit dem zufrieden sind, was wir haben.

Ich hoffe euch macht das Interview beim Lesen so viel Spaß wie mir das Gespräch mit Jan-Ole Gerster gemacht hat.

Jan-Ole Gerster Interview zu "Islands" Andrea Zschocher

Interview mit Jan-Ole Gerster

Meine Review beginnt mit den Worten: „Selten bin ich aus dem Kino gegangen und habe mich nach dem Schauen eines Films so einsam gefühlt.“ Was ist es, was du möchtest, was Menschen fühlen, wenn sie aus „Islands“ kommen?


Oh, tut mir leid, dass du das so gefühlt hast.
Wie alle meine Filme erzählt auch „Islands“ von einer Figur, die der Welt um sie herum ein bisschen abhandengekommen ist. Es ist eine einsame, eine verlorene Figur. Es geht um die Reflexion des Lebens, das wir leben, um die Entscheidungen, die wir getroffen haben. Und es geht darum, zu erkennen, was es braucht, um Dinge noch mal anzupacken und das Leben in eine andere Richtung zu lenken.

Bestenfalls tritt der Film eine Reflexion über das Leben der Zuschauer los, dass man sich vielleicht fragt: Bin ich gefangen in meinem Alltag? Gilt es, Dinge zu ändern? Habe ich vielleicht Sachen aufgeschoben, die ich machen möchte?


Ich gehe jetzt auf die 50 zu und stelle mir die Frage, was ich denn eigentlich machen will. Weil es ja auch immer zwingender wird, Dinge zu machen, die man schon lange vor sich herschiebt. Das können berufliche Sachen sein oder auch zwischenmenschliche.


Das stimmt, ich finde, über 40 denkt man anders über Zeit nach.


Absolut, deswegen heißt es auch Midlifecrisis. [Er lacht]


Und, hast du den Fünf-Jahres-Plan gemacht, wo all das draufsteht, was du angehen willst?


Ich habe das tatsächlich mal gemacht. Aber auch erst, seit ich Familie habe und Planung ein Thema in meinem Leben geworden ist. Solange man alles noch selbst entscheiden kann, braucht man diese Pläne vielleicht auch gar nicht. Aber wenn es dann um so Themen geht wie Grundschule und Filmdrehs, dann wird es auf einmal sehr komplex.


In meinem Plan ging es um Fragen wie: „Wo wollen wir wohnen – in der Stadt oder im Ausland? Wie sieht’s mit der Grundschule aus? Welche Filme möchte ich drehen?“


Und weil mich diese ganze Planung verrückt gemacht hat – und on a daily basis immer noch macht, denn die Fragen nach: „Wer hat wann einen Zoom-Call, wer holt wen wo ab?“ sind ja immer noch da – bin ich ein obsessiver Planer geworden – nur, um dann regelmäßig alles über Bord zu werfen.


I know the feeling. Wie oft ich schon Kinder irgendwo hin mitgenommen habe, weil die sorgsamen Pläne einfach nicht aufgegangen sind … Ich hab mir diesen Perfektionismus inzwischen aber abtrainiert.


Also von Perfektionismus ist ja schon lange keine Rede mehr. Es ist nur eine Frage von: Wie bewältigen wir den Alltag. [Er lacht]


Wir sind einfach zwei Freiberufler – [seine Partnerin ist die tolle Schauspielerin Friederike Kempter] – die in permanenter beruflicher Unsicherheit leben und darin versuchen, irgendeine Form von Stabilität und Ordnung zu etablieren. Das ist wie im Auge des Tornados. Zuhause ist alles in Ordnung, da ist Ruhe. Aber drumherum wirbelt es Kühe und Scheunen und Autos in die Luft. Wir versuchen, da irgendwie Ruhe zu bewahren. Das ist jetzt ein sehr dramatisches Bild – ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Aber manchmal kommt es einem so vor.


Dein Bild beschreibt ziemlich genau auch mein Leben. Ich glaube, deswegen hat mich „Islands“ auch so abgeholt. Weil Toms Leben das totale Gegenteil davon ist. Ich habe das Gefühl, das Einzige, was seinem Tag irgendeine Struktur verleiht, ist der Wochenplan vom Hotel – wem er wann Tennisstunden gibt.

Das ist das Interessante an der Entwicklung von Drehbüchern. Das dauert ja ein wenig, und in der Zeit verändert man sich selbst auch.
Als ich angefangen habe, diese Geschichte zu denken, zu schreiben, zu entwickeln, hatte mein Leben wahrscheinlich noch ein bisschen mehr mit dem von Tom zu tun. Ich empfand das als leer und tragisch und unerfüllt. Auf eine Art sogar lebensverweigernd, weil es so etwas Destruktives und teilweise Selbstzerstörerisches hatte. Die Idee zu dieser Geschichte war schon lange in meinem Kopf – es ist aber viel Zeit vergangen.


Was heißt denn lange?


Ich war vor zehn Jahren das erste Mal auf Fuerteventura, habe diese Beobachtung gemacht und wusste nur: Irgendwas ist hier, dem ich mal so nachgehen müsste. Ich hatte die Figur und fand die Vorstellung toll, auf Fuerteventura zu drehen. Dann ist aber lange nichts passiert, weil eine Figur noch keine Geschichte ist. Es haben andere Dinge eine Rolle gespielt in meinem Leben. Im Lockdown, als es dann darum ging, sich gedanklich woanders hinzuträumen, weil wir alle zuhause saßen und nicht rauskamen, habe ich angefangen, diese Geschichte zu schreiben.


Ich bin in der Zwischenzeit aber auch zweimal Vater geworden, und mein Leben hat auf einmal fast mehr mit der Dave-Figur zu tun als mit Tom. Deswegen sind beide Männer auch stark persönlich aufgeladen, weil die Entwicklungsreise so lang war – von einem Autor ohne Kinder, der ich damals war, zu einem mit zwei Kindern. Beide Figuren haben mehr mit mir zu tun, als mir anfänglich bewusst war.


Ich mochte die Szene auf dem Balkon, als Dave zu Tom sagt: Du hast all den Struggle nicht, du kennst diese Verantwortung für jemand anderen gar nicht. Heißt das, dass da schon auch viel von dir drinsteckt? Wo du doch über fliegende Kühe und das Auge des Tornados gesprochen hast.


Ich mag diese Szene schon sehr. Dave sagt in der Szene ja so was wie: „No school run, no couple counselling, no horrible wailing emptiness …“ [Er überlegt]


Nein, ich liebe das Familienleben schon sehr. Mehr, als ich vermutet hätte. Ich bin schon sehr gern mit meinen Kindern zusammen, was es auch nicht einfacher macht, weil ich sehr gerne Zeit mit ihnen verbringe. Es gibt ja genug Leute, die sich in die Arbeit stürzen, um nicht permanent bei dem Familienwahnsinn mitmachen zu müssen. Ich könnte gut mit meinen Kindern mal ein Jahr auf Weltreise gehen und nicht arbeiten.


Ich mag aber auch meinen Beruf, ich übe den gerne aus. Aber es ist kein Beruf, der nach acht Stunden aufhört oder vor Wochenenden Halt macht – auch gedanklich nicht. Es ist gar nicht so sehr die konkrete Arbeit, sondern dieser Mental Load, dass man sich die ganze Zeit in irgendwelchen Gedankenspiralen befindet – Projekt A und B, das muss noch erledigt werden … Das macht es manchmal ein bisschen mühsam, weil ich stellenweise das Problem habe, meinen Kopf auszuschalten.


Das kenne ich auch. Ich glaube auch, Menschen, die nicht freiberuflich tätig sind, kennen das vielleicht in der Form auch gar nicht.


Ich vermute es. In meinem Freundeskreis haben einige 9-to-5 Jobs. Da bleibt die Arbeit wirklich am Schreibtisch und sie gehen nach Hause. Das gibt’s bei mir leider nicht.


Jetzt hast du eine mögliche Weltreise angesprochen und da will ich doch noch auf ein Zitat aus dem Film kommen, was mich sehr abgeholt hat. Dave sagt an einer Stelle, als er den Namen einer Bar erfährt: „Even in a place like this, people dream about being somewhere else“. Warum ist das so? Warum sind wir so selten zufrieden mit dem Ist-Zustand?


Es gibt diesen Stand-up Gag von Seinfeld, wo er das Phänomen beschreibt, dass am Flughafen immer alle als erstes ins Flugzeug wollen und als erstes wieder raus. Wir können immer nicht da sein, wo wir gerade sind.


Ich fand das total lustig und schlau. Wir kennen das vom Flughafen und es lässt sich auch aufs Leben übertragen. Ich frage mich auch, warum wir manchmal so Schwierigkeiten haben, den hier & jetzt Zustand auszuhalten und dem auch etwas schönes abzugewinnen. Warum müssen wir uns immer vergleichen?


Der Vergleich ist der Tod jeden Glücks. Und trotzdem kommt man nicht umher zu gucken: Was haben die für ein Leben? Was machen die für einen Urlaub? Was hat der für einen Film gemacht? Es ist eine große Aufgabe und Herausforderung, das abzuschütteln, sich dem zu entledigen und zu sagen: Ich bin glücklich mit dem, was ich habe. Es gibt sicherlich Dinge, die ich verbessern kann. Aber ich muss mich nicht die ganze Zeit vergleichen und mich auf der Flucht vor mir selber befinden.


Das hat der Film ja auch ein bisschen zum Thema. Die Figur Tom will, was Dave hat und Dave will, was Tom hat. Wie die Engländer und Amerikaner sagen: The grass is always greener on the other side. Es muss im Leben aber darum gehen, das Glück als solches auch zu erkennen und anzunehmen.

„Islands“ läuft ab sofort im Kino.

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