Nina Petri im Interview: „Alter [wird] in unserer Kultur viel zu wenig gewürdigt“
Ab dem 2. Mai könnt ihr mit euren Teenagern in der ZDF Mediathek einen 45-minütigen Kurzfilm schauen, der es in sich hat. Nicht nur der Titel „Sprengstoff“ ist dabei durchaus doppeldeutig gemeint. 80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieg ist leider nicht nur Rassismus und Gewalt immer noch ein Thema, es werden auch immer noch Fliegerbomben gefunden. Sie sind Erinnerungen an vergangene Zeiten und gleichzeitig so schrecklich zeitgemäß.
Durch „Sprengstoff“ könnt ihr mit eurem Nachwuchs zu einer ganzen Reihe von Themen in Kontakt treten, denn das gemeinsame Anschauen hilft sicherlich dabei ins Gespräch zu kommen und so auch über Ängste zu reden, die sicherlich bei eurem Nachwuchs und auch euch vorkommen. Die Hauptrollen in „Sprengstoff“ spielen übrigens Johanna Götting als „Anne“, Nicole Heesters als „Clara“ und Zahel Anwary als „Faried“.
Ich habe mit Nina Petri, die in „Sprengstoff“ die Kampfmittelbeseitigerin Martina Petersen spielt, über coole Vorbilder, Altersbashing, Ruhe und Entschuldigungen gesprochen. Alles Themen, die sicherlich nicht nur uns beide umtreiben, sondern ganz viele von euch auch. Sagt mir gern, wie euch „Sprengstoff“ gefallen hat, nachdem ihr das Interview gelesen habt.

Ihre Martina ist ziemlich cool. Die steht mit ihrem Pausenbrot neben der Bombe und ist extrem entspannt. Wie wird man so?
Nina Petri: Das weiß ich nicht. Das habe ich ja gespielt.
Das heißt, Sie sind im echten Leben auch nicht so cool.
Manchmal bin ich das erstaunlicherweise vielleicht schon. Aber so eine Situation, wie Martina sie erlebt, habe ich auch noch nie erlebt. Ich bin schon ein sehr energetischer Mensch.
Es gibt Bereiche, in denen ich mich ganz sicher fühle und in mir ruhe. Weil ich da weiß, wie es geht. Aber in Bereichen, wo ich das nicht weiß, bin ich auch sehr unruhig. Für diese Figur war es natürlich extrem wichtig, dass sie genau da, wo andere Menschen denken würden: „Oh mein Gott, eine Bombe“, dass sie da ruhig bleibt. Niemand sonst kann das ja. Aber sie kennt sich aus, und das gibt ihr eine große Ruhe. Das ist ja das Tolle an dieser Szene. Sonst wäre es irgendwie gewöhnlich.
Sie kennt sich aus und lässt trotzdem den jungen Mann das machen. Sie hat ein tolles Zutrauen in ihn, auch wenn es komplizierter wird.
Ich habe gedacht, dass das aber auch genau das ist, was junge Menschen brauchen. Dass es Vorbilder gibt, zu denen man aufblickt, die einem aber etwas zutrauen. Oft ist das ja leider nicht so. Da ist viel von oben herab, weil oft gilt: Ich bin älter als du, ich weiß es besser.
Das stimmt, das finde ich auch toll. Ich habe mir seit letztem Jahr ein neues Business aufgebaut, bin Mentorin für Wirkung und Ausstrahlung. Da arbeite ich auch mit jungen Leuten zusammen. Es gibt ein Mentoring-Programm und auch ein Youngster-Programm, in dem ich mit Auszubildenden bzw. Berufsanfängern arbeite. Da geht es darum, die Menschen in ihrem Selbstwert zu stärken. Sie sollen sicherer werden in ihrer Ausstrahlung und in ihrer Wirkung.
Da habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht. Und ich bin ja älter, ich habe einfach mal ein paar mehr Jahre auf dem Buckel als andere, ich habe mehr Erfahrung. Aber das ist ja auch etwas ganz Tolles. Da sind wir auch beim Thema Altersbashing. Ich finde schon, dass Alter in unserer Kultur viel zu wenig gewürdigt wird. Man sagt den Alten ja nicht, dass ihre Erfahrung etwas wert ist, dass die auch weitergegeben werden darf an die Jungen.
Natürlich geht es darum, wie das dann weitergegeben wird. In meiner Rolle als Martina klappt das super, so sollte das sein. Ich hoffe, dass mir das auch in meinem Mentoring gelingt. Oder in meinem Schauspielberuf, dass ich da als Ältere mit jemand Jüngerem zusammenarbeite und nicht einfach sage: „So macht man das nicht“, sondern sich zu zeigen. Auch da gehören aber zwei Seiten dazu. Denn es braucht natürlich auch die Bereitschaft der Jüngeren, da zuzuhören und lernen zu wollen.

Apropos Alter: Ich fand es gut, dass in „Sprengstoff“ diese alte Nachbarin darauf hingewiesen hat, dass die Geschichte sich wiederholt. Sie war vor 80 Jahren auf der Flucht, die Familie war es jetzt. Wir vergessen das heute nur so oft.
Jetzt haben Sie gesagt, dass es die Bereitschaft der Älteren braucht, etwas mitgeben zu wollen, und vielleicht müssen die Jungen aber auch verstehen, dass Dinge früher anders waren. Da fehlt mir manchmal dieses Zubewegen aufeinander.
Hm… Meine Kinder sind ja schon lange erwachsen, insofern kann ich dazu nicht so viel sagen. Aber es könnte schon so sein, dass der Umgang in der Schule zwischen Lehrer und Schüler ein anderer sein könnte.
Ich meinte das mehr auf den Alltag bezogen. Denn ich habe das Gefühl, dass Kinder hier von älteren Menschen oft als störend wahrgenommen werden. Aber vielleicht stören wir uns ganz generell auch viel aneinander?
Das kann sein. Ich z. B. fahre immer im Ruheabteil, wenn ich Zug fahre. Das hat aber nichts mit Kindern zu tun, sondern vor allen Dingen mit Telefonen. Ich kann gar nicht sagen, wie schlimm ich das finde, wenn Menschen in der Öffentlichkeit telefonieren. Wenn ich angerufen werde, während ich unterwegs bin, sage ich immer, dass ich gerade nicht kann. Ich finde die Vorstellung, dass andere mitanhören können, was ich sage, superpeinlich. Und es ist doch auch absolut störend.
Im Zug in absoluter Ruhe sitzen, das liebe ich. Telefonieren ist ganz schlimm, aber auch eine Gruppe von Menschen, die sich lautstark unterhält und da Spaß bei hat – das finde ich störend. [Sie überlegt] Eine Familie mit drei oder vier Kindern – da muss ich ehrlich sagen, da bin ich auch jemand, die guckt, ob ich mich nicht woanders hinsetzen kann.
Das ist ja legitim. Sie gehen ja nicht zu den Menschen und sagen: „Boah, das nervt jetzt“.
Was ich so beobachte, ist auch ein grundgesellschaftliches Problem. Wir haben so einen grundaggressiven Modus im öffentlichen Raum. Egal, wo du bist, da ist keine Freundlichkeit, kein Verzeihen. Es wird sich selten entschuldigt, dafür gibt es fast immer Angriff oder Verteidigung. Diese Grundhaltung, die fällt mir schon auf. Das hat aber nichts mit jung oder alt zu tun.
Ich glaube, viele Leute sind sehr gestresst von ihrem Leben. Ich habe das letztens mit der Regisseurin Constanze Klaue besprochen. Sie meinte auch, dass man, wenn man selbst so am Limit ist, nicht mehr offen und empathisch auf andere zugehen kann. Vielleicht fehlt uns ein Stück weit der Sinn für andere Menschen und deren Bedürfnisse.
Das ist einfach schwierig. Man muss das in dem Moment vielleicht auch einfach mal kurz wegatmen.
Oder sich im Nachhinein dann entschuldigen. Denn niemand macht immer alles richtig. Aber nachher sagen: „Das tut mir leid, Entschuldigung“, das kostet mich doch nichts, ist fürs Zusammenleben aber wichtig.
Das finde ich einen ganz wichtigen Aspekt. Es ist so wichtig, sich zu entschuldigen. Ob von Eltern zu Kindern oder andersrum – das muss man lernen. Und das sollte man tun. Das ist was ganz Entscheidendes. Denn es versöhnt Menschen miteinander.
Was sagen Sie: Silvesterböller ja oder nein? Denn das Thema Böller bzw. sehr laute Geräusche spielt im Film ja durchaus eine Rolle. Während der Junge mit dem Presslufthammer gar nicht zurechtkommt, hat die ältere Nachbarin, die diese Geräusche sicher auch noch aus dem Krieg erinnert, sich damit ja inzwischen arrangiert. Aber schön ist es ja deswegen trotzdem nicht, oder?
Ein ganz klares Nein! Ich war ehrlich gesagt noch nie so ein Knallertyp. Auch in meiner Familie war das nie ein Thema. Aber inzwischen ist es so viel schlimmer geworden. An jeder Ecke knallt es und stinkt wie die Pest, das ist schrecklich. Das braucht kein Mensch!
Ich wohne ja in Hamburg, da kann man doch an zwei, drei, vier Orten ein richtig tolles Feuerwerk machen. Das ist doch auch viel schöner als das Geknalle im Kleinstmaß, wo am nächsten Tag diese Kackhaufen überall liegen, von denen man nicht weiß: Ist es alter Böllerkram oder Hundescheiße…
Weil Sie die Nachbarin ansprechen: Wir hatten hier in Hamburg vor einigen Jahren die Situation, dass zum Hafengeburtstag die Fliegerstaffel Kunststücke gemacht hat. Irgendwelche Jets flogen damals so tief, dass sich viele alte Menschen furchtbar erschrocken haben. Denn es waren genau die Geräusche wie damals im Krieg. Das gibt es jetzt zum Glück nicht mehr, aber da haben viele gedacht: Das darf es doch nicht geben!
Ich fand das wirklich spannend, dass der Film „Sprengstoff“ mir da auch noch einmal gezeigt hat, dass wir ältere Mitbürger*innen manchmal außen vor lassen – mit all ihren Erfahrungen, eben auch in Bezug auf Krieg und Flucht. Wo sich gleichzeitig die Gesellschaft immer weiter spaltet. Die Nachbarin im Film sagt ja auch: „Das hatten wir alles schon mal.“ Und ich frage mich: Wie können wir hier wieder einen Schritt mehr aufeinander zugehen?
Das ist eine gute Frage. Geschichten erzählen kann helfen. Alte Menschen, die etwas anderes erlebt haben, sind ja Geschichtenerzähler. In anderen Kulturen ist das gang und gäbe, dass man sich da mit Älteren zusammensetzt und ihnen zuhört. Da zieht man sich kein Buch aus dem Regal oder nutzt das blöde Handy.
Ich erinnere mich auch noch an solche Erzählungen von meinen Großeltern. Das waren nicht viele, weil unser Kontakt leider nicht so eng war. Aber ich habe da als Kind mit großen Ohren zugehört, und das hatte keinen belehrenden Charakter. Das kann etwas Tolles und Bereicherndes für alle sein, einander zuzuhören.
Eine Frage noch: Sie haben Ihr Mentoring angesprochen. Richtet sich das nur an Schauspielende?
Zunächst ist mir wichtig zu betonen, dass es eben ein Mentoring und kein Coaching ist. Für mich ist der Begriff Coaching zu ausgelutscht. Ich denke, mit meiner Erfahrung darf ich mich ruhig Mentorin nennen. Zu mir kann jede und jeder kommen. Ich mache das auch für Schauspielende, und auch für ganz normale Menschen. Für Unternehmen, die ihre jungen Angestellten fördern wollen, damit die mehr Mut haben, sich zu zeigen.
In der Pandemie sind ja die ganzen sozialen Aspekte hinten runtergefallen. Das gilt auch insgesamt für unsere Gesellschaft, in der Menschen nur noch am Telefon hängen und glauben, dass da drin die Welt stattfindet. Aber wir brauchen die analoge Welt, wir brauchen Menschen. Und da versuche ich zu unterstützen – für Privatpersonen und Unternehmen.
Das Coming-of-Age Drama „Sprengstoff“ könnt ihr (mit euren Kindern) ab dem 2. Mai in der ZDF-Mediathek anschauen, oder am 4. Mai um 20:00 Uhr auf KIKA.