Meltem Kaptan zu „Alter weisser Mann“ im Interview

Der Film „Alter weisser Mann“ startet am 31. Oktober in den Kinos. Ich durfte vor Filmstart mit Meltem Kaptan über ihre Rolle Kiraz Tüfek, Inklusivität und vermeintliche alte, weiße Männer sprechen. Am meisten im Gedächtnis bleibt mir, dass wir eben viel mehr ins Gespräch gehen müssen. Dass wir akzeptieren, dass wir manchmal sprachlos sind, und trotzdem Worte finden, um den Kontakt und das Verständnis zueinander nicht abreißen lassen.

Meltem, „Ich Boss, du nix“ – Ein Aufdruck auf einer Tasse, die im Film einige Gespräche in Gang bringt. Welche Tasse hast du im Schrank, die dir vielleicht unangenehm ist?

Meltem Kaptan: (lacht). Ich habe eine Brüste-Tasse, aber die ist mir nicht unangenehm. Da sind ganz viele verschiedene Frauenbrüste drauf, aus der trinke ich mit Stolz. Alle Schauspieler haben im Übrigen nach Abschluss der Dreharbeiten die „I love my Penis“-Tasse geschenkt bekommen, die auch im Film vorkommt. Ich finde das super lustig!

Was magst du an deiner Rolle am liebsten?

Meltem Kaptan: Ich mag, dass sie tough ist und sagt, was sie denkt. Sie ist gerade heraus und wertet nicht. Sie trägt ihr Herz auf der Zunge.

Ich finde: Deine Figur Kiraz ist auch die, die am meisten in sich ruht.

Sie ist mit sich im Reinen und nimmt die Dinge, wie sie kommen. Und sie hat die Gabe, Menschen sehr gut einschätzen zu können. Sie erkennt zum Beispiel bei Heinz [der Rolle von Jan Josef Liefers], der ja in sehr viele Fettnäpfchen tritt, dass er einen guten Kern hat. Das sind alles Zeichen für eine hohe emotionale Intelligenz.

Ich finde, wir brauchen noch viel mehr Menschen wie deine Kiraz. Denn wenn ich ganz ehrlich bin: Bevor ich den Film gesehen habe, dachte ich: „Also der Trailer… der holt mich jetzt nicht so ab“. Nachdem ich „Alter weißer Mann“ gesehen habe, dachte ich wiederum: Die Menschen, die „Sprachpolizei“ rufen, Gendern blöd finden und überhaupt der Meinung sind, es solle sich möglichst wenig ändern, die werden von dem Film sehr enttäuscht sein. Weil es darum nämlich genau nicht geht.

Stattdessen geht es vordergründig um die Frage, wer und was eigentlich ein „Alter weißer Mann“ ist. Und die ist sehr spannend. Im ersten Moment denkt man natürlich, dass das der Heinz ist. Aber dann merkt man: Moment mal, ein „Alter weißer Mann“ kann auch weiblich sein, kann jünger sein, kann in einigen Dingen auch in uns selbst stecken. Man ertappt sich vielleicht an Stellen, wo man das gar nicht von sich gedacht hätte. In denen man in alten Strukturen verharrt, nicht mit der Zeit gehen will, nicht inklusiv denkt oder handelt. Ich glaube schon, dass es einen Aha-Effekt gibt, wenn man sich den Film ansieht.

Heinz schafft es ja auch, sich zu ändern. Andere schaffen es nicht.

Und dann beginnt man eben zu reflektieren: Wie sehr drehst du dich um dich selbst und verharrst in deinem eigenen Werteschema, in deinen eigenen Vorstellung?  Wann und wie kannst du dich deinem Gegenüber öffnen, seine Meinungen, Einstellungen und Beweggründe berücksichtigen? Am Ende des Films sitzen alle gemeinsam an einem Tisch und sprechen endlich mal aus, was sie wirklich denken. Und die anderen hören sich diese Standpunkte an und gehen in die Begegnung, in den Diskurs. Das ist das, was Dinge verändert und das ist, glaube ich, auch die Grundaussage des Films.

Wenn man permanent Angst davor hat, Dinge anzusprechen oder Fehler zu machen, dann ändert sich nichts. Dann verkrampft man, wird passiv, was in letzter Konsequenz auch zur Vereinsamung führen kann. Deswegen liebe ich diese Szene am Tisch besonders, sie ist so unfassbar lebendig. So sollte das Leben sein: Bunt, kontrovers und manchmal vielleicht auch ein bisschen chaotisch.

Ich fand genau diese von dir beschriebene Szene auch so wichtig. Denn gegen Angst hilft ansprechen, drüber reden. Sonst kann sich ja auch nichts verändern.

Ganz genau. Das ist eine Botschaft, die der Film transportiert. Da ist z.B. der Mo [gespielt von Leon Ndiaye], der sagt: „Hey, man kann schon fragen, woher jemand kommt. Es sollte nur nicht die erste Frage sein.“

Das zeigt der Film ja auch so schön. Während deine Figur gar kein Problem damit hat, nach ihren Eltern gefragt zu werden, hat eine andere Figur das ja durchaus. Und beides ist legitim und man kann und muss das aushalten.

Und das zeigt: Es gibt nicht den einen Migranten. Es gibt auch nicht den einen Deutschen. Stattdessen hat jeder seinen persönlichen Erfahrungsrucksack, jeder hat eine Vergangenheit. Es geht also darum herauszufinden, wer eigentlich vor mir sitzt und was die Frage beim Gegenüber auslösen kann. Auch das geht nur über die Begegnung. Durch die sich ja Heinz im Laufe des Films stark wandelt.

Er nimmt z.B. irgendwann die eigenen Kinder wieder wahr und versteht, dass er auf ihre Bedürfnisse eingehen muss. Er besucht seine Tochter im fernen Berlin und beginnt zu verstehen, warum sie ihr Studium geschmissen hat, warum ihr Verhältnis zueinander so belastet ist. Er hört ihr endlich wieder zu. Und das ist, finde ich, die positive Botschaft des Films, die bleibt. Und wir alle können uns eine Scheibe davon abschneiden.

Alter weisser Mann: Review

Heinz Hellmich (Jan Josef Liefers) ist ein bisschen überfordert. Die Gesellschaft hat sich in Teilen weiterentwickelt und es wirkt. als könnte er da gar nicht mehr richtig mithalten. Seine Ehefrau (Nadja Uhl) hat kaum Interesse an ihm, auch die Kinder kritisieren viel, sein Vater (Friedrich von Thun) will den Fahrausweis nicht abgeben, obwohl er sehr klar eine Bedrohung für andere ist. Familiär läuft es nicht, beruflich aber irgendwie auch nicht. Denn während sein Chef (Michael Maertens) ihm klar macht, er müsse eher in alten Struckturen denken, wollen andere im Unternehmen (u.a. Meltem Kaptan, Yun Huang & Elyas M´Barek) das genaue Gegenteil. Gar nicht so einfach, da seine eigene Stimme zu finden und gleichzeitig eben sensibel auf Gegebenheiten zu reagieren.

Denn zum Glück wandelt sich unsere Welt ja, und es gibt viele, die inklusiver sein wollen, mehr mitdenken, sich selbst zurücknehmen und anderen einen Raum geben. Klar, es ist noch nicht alles gut, aber genau das zeigt der Film „Alter weisser Mann“ ja auch. Wir sind auf einem Weg, der ist holperig, kurvig, wir kommen mal vom Ziel ab oder schießen darüber hinaus. Aber solange, wie all den Bemühungen echtes Interesse und der Wille zu verstehen, zugrunde liegt, so lange ist es ein Anfang.

Warum ich den Trailer zu „Alter weißer Mann“ nicht so gelungen finde

Ich habe es im Interview mit Meltem Kaptan ja schon angesprochen: Als ich den Trailer zu „Alter weißer Mann“ gesehen habe, dachte ich im ersten Moment: Was soll das bitte für ein Film werden? Nicht nur, dass der Titel natürlich maximal provokant gewählt ist, auch der Trailer provoziert. Nachdem ich den Film dann gesehen habe, dachte ich: Spannend, der Film ist (zum Glück!) so ganz anders als gedacht. Denn statt irgendwelche Flachwitze in den Mittelpunkt zu stellen und auf Mario Barth Niveau Witze über Frauen und Männer und alle dazwischen und außerhalb (Jan Böhmermanns Formulierung finde ich an der Stelle tatsächlich passend) zu machen und sich über Herkunft und Heimat lustig zu machen, nimmt der Film die Themen unserer Zeit schon ernst.

Lasst euch zu Gesprächen anregen

Es ist nicht wirklich eine Komödie, in meinem Augen eher ein Film der Gespräche anregen kann und soll. Aber das ist ja nichts schlechtes. Ihr wisst, ich finde Meinungsaustausch immer bereichernd. (Deswegen war ich auch so glücklich, dass Meltem sich die Zeit fürs Gespräch genommen hat, denn natürlich ist es immer extra spannend, wenn die Menschen, die am Film beteiligt sind, ihre Sicht teilen.)

Meine Empfehlung: Lasst euch nicht vom Trailer abschrecken, sondern bildet euch beim Film gucken eine eigene Meinung. Und dann freue ich mich, wenn wir drüber sprechen.

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