Felix Kramer im Interview: „Der ist nicht Pippi, der ist Annika“
Mit „Was Marielle weiß“ kommt am 17. April ein Film in die Kinos, der euch ins Fragenchaos stürzen könnte. Denn wie würdet ihr reagieren, wenn eure Kinder alles, was ihr am Tag erlebt in ihrem Kopf mitverfolgen könnten. Wenn sie wüssten über welchen Themen ihr mit wem gesprochen habt, wer euch und wen ihr wie angesehen habt? Wenn ihr tiefer in diesen Fragenstrudel eintaucht, dann kommt ihr vielleicht auch da raus, wo ich mich wiedergefunden habe: Bei der Frage, ob wir unser Leben eigentlich so leben, wie wir das wirklich wollen. Gerade für Paare finde ich das im Geflecht aus Job, Familie, Selbstwirksamkeit eine so wichtige Frage.

Und weil ich Fragen so sehr liebe, bin ich immer dankbar und froh, wenn ich sie jemandem stellen kann. In den Fall an Felix Kramer. Er spielt in „Was Marielle weiß“ den Vater Tobias. Ihr kennt Felix vielleicht schon aus u.a. „Anatomie 2“, „Dogs of Berlin“, Warten auf´n Bus“ oder als Synchronsprecher vom Krokodil „Rick“ in „Die Schule der magischen Tiere 3“. Im Interview sprechen wir unter anderem über Angepasstheit, Wahrhaftigkeit, und das permanente bewertet werden.

Felix Kramer im Interview
Ich finde „Was Marielle weiß“ einen großartigen Film. Und doch hatte ich so meine Probleme mit deinem Tobias. Du hast den natürlich super gespielt, sonst hätte ich vermutlich gar nicht solche Widerstände gegen ihn. Ich empfand ihn als Ehemann als ein bisschen schwach, zu konform. Während die Mutter Julia versucht, ihren eigenen Weg zu gehen, versucht er, so lange es geht, die Lüge aufrechtzuerhalten.
Felix Kramer: Was ich so reizvoll an der Figur fand, war genau das. Dieser Normcore. Der ist eben nicht Pippi Langstrumpf, der ist Annika. Oder Tommy.
Bei „Was Marielle weiß“ lag der Reiz für mich darin, eben genau nicht der Typ zu sein, der die Grenzen überschreitet. Nicht der zu sein, der zeigt, wo es langgeht. Sondern derjenige, bei dem ich mich frage, wie er groß geworden ist. Was wurde ihm erzählt, wie er sein darf?
Nicht herauszuragen, nicht der Gewinner zu sein. Da steckt ja auch die Frage drin: Wie viel Tobias steckt in jedem von uns? Vermutlich mehr, als uns lieb ist.Wir alle wollen geliebt werden. Wofür werden wir geliebt?
Wir glauben, wir müssen charismatisch sein, die coolen Typen eben. Wir wollen diejenigen sein, die oben sind und vorne. Niemand will, von außen betrachtet, der Loser sein, der Lappen, der Wurm oder, wie du es sagst, der Angepasste.Wie würde sich der Film verändern, wenn der Vater genauso wäre wie die Mutter? Dann gäbe es einen gemeinsamen Nenner und das Drama wäre entschärft. Das ist ja das Kernproblem der Figur, und damit sollen wir uns ja auseinandersetzen. Er scheitert ja an dem Versuch, der coole Typ zu sein.
Tobias hat einen ganz wahrhaftigen Moment im Gespräch mit seiner Tochter [über eine Abtreibung] – sie kapiert das, sie schätzt es, und für sie ist das viel wert. Natürlich sieht sie auch, dass er Mist baut, dass er keine Grenzen aufzeigt. Aber in der Szene im Kinderzimmer, als sie ihm diese Frage nach der Abtreibung stellt und er nicht lügt – das sind sich beide Figuren sehr nah und das ist schön.

© Alexander Griesser /Walker+Worm / DCM
Da stimme ich dir zu. Mir geht’s darum, dass ich das Gefühl habe, dass er für mich nicht genug in seiner Wahrheit ist. Mich hat das irritiert, dass er der Mutter, Julia, nicht sagt: „Ich möchte nicht, dass du mit jemand anderem schläfst.“
Aber wissen wir denn, was er treibt? Der Film hat nur 90 Minuten, wir erzählen ja nicht alles. Wen gab es da vielleicht in Tobias’ Verlag?
Beziehungen gehen doch auch auseinander, weil die Frau nach Hause kommt, sagt: „Ich habe Scheiße gebaut“ und der Mann den Moment verpasst zu sagen: „Ich übrigens auch!“ Solche Paare begegnen sich vielleicht auf einem neuen Level und sind 50 Jahre glücklich zusammen. Es sind viele Ebenen, die wir einfach nicht erzählen.
Tobias hat nicht diese Backstory, wie Julia sie hat. Man sieht ihn nur auf der Arbeit, man sieht nur das Manipulative. Er benutzt Marielles Fähigkeit. Aber er steht auch dazu und sagt seiner Frau: „Ja, das habe ich getan.“
Tobias versucht weiterhin, seiner Tochter etwas mitzugeben. Das macht ihn vielleicht angepasst, aber vielleicht will er einfach ein guter Vater sein. Am Ende ist das Niveau unserer Fehler viel höher als das Niveau unserer Erfolgsgeschichten. Keine Figur schneidet so richtig toll ab, auch die Tochter nicht.
Tobias und Julia sind kein Paar mehr. Die könnten doch in der Situation sagen: Wir gehen da jetzt rein, all in. Machen sie nicht. Ich glaube, Frederic [der Regisseur] wollte einfach abrechnen mit diesem bürgerlichen Malen nach Zahlen – Mama, Papa, Ball, zwei E-Autos, abends ein Weinchen … Alles super.
Ich kenne das doch auch. [Er lacht] Schauen wir doch mal, ob das alles so ist, wie es vorgibt zu sein… Das ist doch total spannend.
Für mich ist das auch ein toller Film für Eltern, um ins Gespräch zu kommen. Denn wie oft sprechen die über ihre Träume, Sehnsüchte, Wünsche in diesem Alltagseinerlei aus Job und Kindern und Verantwortung?
Das ist die eine Ebene. Natürlich ist das eine Familiengeschichte. Und es ist eine Scheidungsgeschichte, denn am Ende ist diese Beziehung vorbei. Aber wenn man noch ein bisschen Abstand nimmt, dann ist es auch ein gesamtgesellschaftspolitischer Film.
Was glaubst du, wie es für Tobias dann weitergeht?
Ich kann mir vorstellen, dass er weiterhin eine gute Beziehung zu Marielle hat. Und vielleicht kündigt er seinen Job im Verlag und überlegt sich, was er stattdessen machen könnte.
[Felix hält inne] Aber ich will ihn auch gar nicht wieder aufwerten, dass er daraus was Tolles macht. Ich finde ihn in der Geschichte genau richtig, wie er ist. Er ist eben nicht der Gewinner, sondern genau das, was ich mit Normcore meinte. Tobias ist nicht der Zauberhafte. Er ist nicht one in a million, er ist die Million.
Gab es beim Spielen von Tobias Momente, in denen du persönlich innerlich dagegengehalten hast – also gedacht hast: ‚So würde ich jetzt nicht reagieren?‘
Da gibt es sehr viele Momente. Der ganze Ansatz dieser Familie ist mir schon sehr fremd. Was nicht heißt, das mir Ängste und Unsicherheiten der Figur fremd sind.
Unser Gespräch kreist immer wieder unausgesprochen auch um das Thema Bewertung. Denn ich bewerte deinen Tobias ja ein bisschen anders als du. Und wir beide haben Berufe, die zur Bewertung einladen …
Ich frage mich, wie wir mit Öffentlichkeit umgehen, mit genau dieser permanenten Bewertung durch andere. Das fängt ja schon in der Schule an. Da machen die Kinder Sachen für die Lehrerinnen und Lehrer, nicht für sich selbst. Das Dopaminzentrum wird da schon von Belohnungen getriggert. Da geht’s dann immer tiefer rein.
Oder dir wird suggeriert, du bist nicht gut genug.
Ja genau, das ist das nächste Ding. Da kannst du Olympiasiegerin oder Olympiasieger sein, bist die oder der Beste, und fühlst dich da oben trotzdem allein. Vielleicht war das im Nachhinein der einsamste Moment deines Lebens, und das Oben-auf-dem-Podest-Stehen hat dir gar nichts bedeutet. Und dann gibt’s Leute, die ein scheinbar langweiliges Leben führen und superhappy mit sich sind.
Da sind wir wieder bei Tobias, der vielleicht durch die Tochter dazu gebracht wird, alles infrage zu stellen. Das ist ein interessanter Punkt – unsere Geschichte hört da auf. Aber das ist in dem Film drin, dass man sich Gedanken macht, wie es mit ihm weitergeht. Das kennt man doch, dass Menschen, oft nach einer Zäsur, wie einer Auszeit, einer Krankheit oder Verletzung, wenn eben mal alles still steht, plötzlich da sitzen und sich denken: Was mache ich hier eigentlich?

© Alexander Griesser /Walker+Worm / DCM
Wir sprechen hier übers bewertet werden, über Sichtbarkeit. Wie schützt du dich eigentlich selbst vor dem Wunsch, unbedingt zu gefallen und gemocht werden zu wollen?
Oh wow, das ist nicht mal so schnell zu beantworten. Ich mach es mir leicht und zitiere einfach einen berühmten russischen Regisseur der auf eine ähnliche Frage antwortete: “ Gute Kritiken finde ich gut, schlechte Kritiken finde ich schlecht.”
„Was Marielle weiß“ lädt ja auch dazu ein, mal in sich zu gehen, zu überlegen, zu welcher Figur man denn am ehesten tendiert. Ich kam immer wieder an den Punkt, dass ich mal eher bei der Mutter war, mal schon eher bei deinem Tobias …
Ich finde die Mutter von Julia am sympathischsten. [Er lacht] Die ist so schön überrascht, als sich Julia entschuldigt – in der Hoffnung, dass Marielle sich auch bei ihr entschuldigt. Das finde ich im Übrigen super perfide. Eben mal nicht toxisch männlich, sondern hart mikromanipulativ. Die Mutter kommt aber auch aus einer ganz anderen Zeit, hat ganz andere Themen. Dieser Generationenkonflikt, der steckt in dem Film. Und sie ist die Einzige, die das Kind umarmt.
Sehr abrupter Themenwechsel, aber: Was erschreckt dich mehr: Die Vorstellung, ein Kind schlagen zu müssen, wie das im Film auch eine Rolle spielt, oder die Vorstellung, dass es alles weiß, was du so erlebst und besprichst?
Das ist überhaupt gar keine Frage! Das Schlagen ist bei mir so weit weg. Das ist für mich unerträglich. Niemals! Da nehme ich alles andere lieber in Kauf.
Diese Szene mit der Ohrfeige fand ich extrem intensiv. Wir beide verspüren da extremes Unbehagen. Leider ist Gewalt gegen Frauen und Kinder aber nach wie vor noch ein großes Thema. Wie kommen wir da raus und können Betroffenen Schutzräume anbieten? Denn dein Tobias steht dem ja auch irgendwie macht- und sprachlos gegenüber.
Ich weiß es nicht. Ehrlich gesagt will ich da jetzt auch nicht mit irgendwelchen halb angelesenen Thesen so tun als hätte ich da eine Idee.Was Tobias angeht, vertritt er ganz klar die Ohnmacht der Frauen in solchen Situationen. Tja, wer erzieht die Erzieher ? Ich habe keine gescheite Antwort darauf. Hoffen, anspechen und sich einmischen.
„Was Marielle weiß“ läuft ab dem 17. April im Kino
Schreibt mir gern, wie euch der Film gefallen hat und welche Frage euch am meisten unter den Nägeln brennt.