1. Jahrestag Lockdown: Naiv am Anfang, heute ernüchtert
Zum 1. Jahrestag des Lockdown will ich ein wenig Revue passieren lassen, was dieses Jahr mit uns so gemacht hat. Auch wenn viele von euch hier ja sehr regelmäßig lesen, ein bisschen „hinter die Kulissen“ blicken ist ja vielleicht auch ganz interessant für euch. Schreibt mir sehr gern wie ihr dieses Jahr erlebt habt. Ich veröffentliche auch eure Berichte sehr gern, wenn ihr das erlaubt.
Ich erinnere mich noch sehr genau daran, wie ich am 13.03.2020 fassungslos meine Freundin anstarrte. Wir hatten uns zum Frühstück verabredet, mein jüngstes Kind war gerade mitten in der Kitaeingewöhnung, ich wollte die zwei Stunden Normalität genießen. Und dann kam die Nachricht: Ab Dienstag, 17.03.2020 werden die Kitas und Schulen (in Berlin) geschlossen.
Lockdown in Deutschland: Das gabs noch nie (in meiner Zeitrechnung)
Die ganze Woche über gab es immer wieder Nachrichten dazu, aber so richtig ernstgenommen habe ich die nicht. Wie denn auch, so etwas gab es in Deutschland noch nie. Dann also Lockdown, zwei vollzeit -berufstätige Eltern mit drei Kitakindern. Schnell war klar: Wir brauchen einen Plan, wer wann die Kinder betreut und wer arbeitet, sonst funktioniert hier gar nichts.
Da ich selbstständig tätig bin, konte ich meine Arbeitszeiten etwas flexibler setzen, aber uns wurde als Familie schnell klar: Das geht hinten und vorne nicht auf. Wir schliefen zu wenig, ich habe da ja auch mal drüber geschrieben, und waren alle irgendwie gerädert. Wir hielten uns, total naiv aus heutiger Sicht, an dem Gedanken fest: Es wird schon werden. Wir müssen nur bis Ostern durchhalten und dann wird es besser. Wir kriegen das schon hin.
Von der Politik im Stich gelassen
Natürlich wurde es nicht besser. Es wurde anders. Mehr und mehr Familien fühlten sich vergessen. Denn von der Bundesregierung kam erschreckend wenig. Außer Ideen wie das Absperren von Spielplätzen, weil Kinder dort andere Kinder anstecken konnten. Für viele Familien, uns auch, waren die Sperrungen der Spielstätten ein massives Problem, denn mitten in der Stadt gab es plötzlich kaum Räumen, in denen sich Kinder austoben konnten. Wir entdeckten den Wald so richtig für uns, immerhin. Das rettet hier manchmal die Stimmung, auch wenn es längst nicht mehr so klappt wie am Anfang.
Übervorsichtig am Anfang
Zu Beginn hielten wir alle riesig viel Abstand, fünf Meter waren nicht genug. Die Kinder bekamen das von Anfang an sehr gut hin, gleichzeitig war es für mich total schwer das mitzuerleben. Weil ich doch eigentlich nicht will, dass sie Angst vor anderen haben sollen. Auch jetzt halten sie so gut es geht Abstand, aber ja, es ist anders geworden. Weil sie unglaubliche Sehnsucht nach Menschen außerhalb unserer Familie haben, je nach Alter ist das natürlich unterschiedlich. Aber mir ist klar, wir Eltern können nicht alles auffangen.
Auszeiten von Medien
Ich merke, wie ich über das Jahr immer mal wieder Medienauszeiten brauche. Was ein bisschen schwierig ist als Journalistin. Aber privat fahre ich immer mal zeitweise zurück, lese nicht noch diesen oder jenen Artikel zu Corona und neuen Entwicklungen. Das mit dem Selbstschutz ist bei mir ein immerwährendes Projekt, andere sind da sicherlich sehr viel besser drin. Aber nun gut, immerhin habe ich in diesem Jahr gelernt, mehr auf mich zu achten, wenigstens temporär.
Immer wieder kurz vorm Ausbrennen
Denn natürlich gab es auch die Phasen mit totaler Arbeitsüberlastung. Meine beiden Bücher erschienen im Lockdown, das erste über die Wackelzahnpubertät ist jetzt fast ein Jahr auf dem Markt und das zweite über Schreibabys seit Januar 2021. Geschrieben habe ich das, natürlich, vollständig im ersten Lockdown. Würde ich das noch mal wiederholen? Definitiv nicht. Würde ich wieder ein Buch schreiben wollen? Definitiv ja. Gerade denke ich auf Ideen herum, aber auch wenn ich glaube, die Themen sind wichtig, es ist ein großes Commitment und die Zeiten sind unsicher.
Berufliche Perspektive
Bei aller Unsicherheit bin ich aber auch unglaublich dankbar, dass wir nicht von Existenzängsten bedroht sind. Das war so auch nicht absehbar, aber dieses Jahr war beruflich so eine Achterbahnfahrt bei der ich sehr viel lernen konnte. Ich habe noch nie so viele Interviews geführt (sogar mit der Familienministerin und einer Astronautin!) und beim Abhören meine Kinder im Hintergrund brüllen hören. Manche Gespräche haben die Kinder sogar aktiv begleitet, was zu lustigen Situationen führte.
Ich habe für viele neue Auftraggeber geschrieben und war sogar im Fernsehen (obwohl ich das doch nie wollte). Ich habe zwei Bücher geschrieben. Es war zumindest beruflich nicht alles schlecht, aber mindestens herausfordernd. Und ich weiß, damit bin ich eine Ausnahme.
Kinder im Homeoffice sichtbar machen
Mein Mann und ich haben oft genug auch dafür gesorgt, dass die Kinder vermeintlich unsichtbar sind, dass andere glauben „pfft, Homeoffice mit drei Kitakindern geht doch“. Bis mir klar wurde, dass das der falsche Weg ist. Denn genau das, dieses Arbeiten und Betreuuen, das geht eben nicht gleichzeitig. Also waren sie dann eben dabei, in Redaktionskonferenzen bei Interviews. Manchmal haben sie selbst Fragen gestellt, manchmal einfach nur „hallo“ gesagt. Aber sie waren da, weil sie eben immer da waren und sind.
Jahrestag Lockdown: Was macht das mit Beziehungen
Unsere Beziehung wurde, wie wohl überall, auf viele Proben gestellt. Weil es einfach so unfassbar anstrengend ist, dieses immer aufeinanderhocken und sich zerreißen zwischen all den Aufgaben. Und doch, wir haben das ganz gut hinbekommen. Weil wir aufeinander geachtet haben. In einem Interview neulich zum Thema Schreibaby fiel mir auf, dass wir das vielleicht auch deswegen so hinbekommen, weil wir schon öfter extreme Situationen durchlebt haben. Und klar war: Wir müssen da zusammen durch.
Gewalt gegen Frauen und Kinder ist explodiert
Die Situation in vielen Familien sieht aber anders aus. Und die Erkenntnis wie viele Kinder und Frauen aktuell von Gewalt in der Familie bedroht sind, die sollte eigentlich täglich auf der Agenda sein. Und die Antwort darauf kann nicht nur Schulöffnung heißen. Es muss doch weiter gehen, tiefer. Und schon wenn ich das hier schreibe (und ich habe viel darüber geschrieben im vergangenen Jahr) dann denke ich: Es hat sich nichts geändert. Dabei müssten wir den Schutz von Frauen und Kindern angehen. Aber dann sind wir alle eben auch im Kleinklein verhaftet. Das ist kein Vorwurf, ich selbst bin ja auch nicht besser. Aber wir müssen aktiv werden.
Poltisch aktiv? Keine Zeit!
Wie wir überhaupt auch aktiv werden sollten wenn man sich anschaut wie im letzten Jahr mit Familien umgegangen wurde. Am Anfang waren viele noch kämpferisch, setzten sich ein, bloggten, twitterten, zeigten Einsatz. Nichts wurde gehört, allein bis die unsäglichen Fotos in all den Artikeln übers Homeoffice mit Kindern verschwunden waren, dauerte es ewig. Die suggerierten immer: Geht schon alles. Dabei ging gar nichts.
1. Jahrestag Lockdown: Gefühlsmäßig ohnmächtig-fuchsteufelswild
Zu Beginn der Pandemie hatte ich drei Kitakinder, immerhin hatten wir da noch keine Verpflichtungen. Im August wurde die Älteste eingeschult und die eh schon angespannte Situation verschlechterte sich seitdem zusehens. Und gerade jetzt, bei steigenden Fallzahlen und ohne echten Ausblick werde ich schon wieder ohnmächtig-fuchsteufelswild (ja, das geht gleichzeitig) wenn ich daran denke, wie das alles weitergehen soll. Schule auf, am besten für alle. Das kann die Lösung doch nicht sein. Den Druck mehr und mehr erhöhen, weil am Ende nur Leistung und Noten zählen.
Aus der Schule kommt Druck statt Applaus für die Kinder
Unsere Kinder werden nur als defizitär wahrgenommen, die wenigsten schauen hin, was sie alle im letzten Jahr unfassbares geleistet haben. Es geht nur um Lehrplanerfüllungen und Listen abhaken und irgendwas bewerten. Vielleicht haben wir, wie viele andere Eltern die mir schreiben, auch einfach Pech, weil wir die Schule in diesen Zeiten (und andere kenne ich leider nicht) als extrem druckaufbauend erleben. Das lese ich auch immer wieder in den Mails, die aus der Schule kommen. Es geht nicht darum wie es den Kindern geht, sondern darum, was als nächstes gelernt werden muss. Wäre dieses letzte Jahr nicht auch eine Chance gewesen zu überlegen wie Schule ohne diesen immensen Druck aussehen könnte?
Jahrestag Lockdown: Das Fazit ist ernüchternd
Mein Fazit zum 1. Jahrestag Lockdown fällt wenig positiv aus. Ich habe das Gefühl, dass wir zu naiv waren, dass wir den Sommer, der ja fast wieder Normalität (und uns einen unfassbar entspannten Urlaub in Österreich ermöglichte) nicht ausreichend genossen.
Kaum noch Kraft da
Ich merke wie nach diesem Jahr meine Kräfte gesunken sind, auf ein kaum noch spürbares Maß. Ich schaffe es nicht mehr, meine internen Akkus aufzuladen, bin gereizt und gehetzt, schlafe schlecht. Alles Warnsignale, klar. Aber es gibt keine Verschnaufpause, kein Innehalten. Nur weiter, weiter, weiter, durchhalten. Bestmöglich auf meine Familie achten, bei Wind und Wetter mit Freundinnen durch die Stadt streifen um wenigstens ein bisschen Gefühl vor Normalität zu bekommen.
Mein Wunsch meine Familie mal wieder in den Arm zu nehmen, meine Freund*innen minutenlang und fest zu drücken ist unendlich groß. Ich wünsche mir, dass meine Kinder endlich wieder all ihre Freund*innen treffen und über den Spielplatz toben können, und ja, auch, dass wir irgendwo zur Ruhe kommen und durchatmen können.
Wie war euer Jahr?
Der Wunsch rückt angesichts aktueller Zahlen in weite Ferne. Wovon träumt ihr in diesen Zeiten. Was werdet ihr als erstes tun, wenn endlich wieder alles erlaubt ist?
Hallo Andrea, mich würde interessieren, wie Du Dir Schule in diesen Zeiten vorstellst? In einer Pandemie, die seit einem Jahr andauert und vielleicht noch Jahre weitergeht??
Es ist nicht so, dass ich nicht auch Probleme im Schulsystem sehe, aber die waren auch vor der Pandemie schon da und werden jetzt nur noch deutlicher. Ich lese immer von der Unzufriedenheit vieler Eltern und frage mich dann immer, welche Änderungen konkret denn gewünscht werden? Ich frage, weil es mich wirklich interessiert.
In einem der letzten Beiträge hast Du geschrieben, dass Deine Tochter wegen Aussetzung der Präsenzpflicht nicht in die Schule geht, ihr sie daheim aber auch nicht unterstützten könnt aus Kapazitätsgründen? Habe ich das richtig verstanden? Wie bewertest Du diese Situation für Deine Tochter? Und wie werdet ihr damit umgehen, wenn sich die Situation nicht wieder so schnell normalisiert?
Wir haben zum Glück relativ gute, engagierte Schulen und Lehrer, einen wertschätzenden Umgang wie an diesen Schulen hätte ich mir früher auch gewünscht. Trotzdem wende ich jeden Tag neben Beruf, teilweise mehrere Stunden für Schulkram der Kinder auf. Und sie besuchen zur Zeit die Schule im Wechselunterricht. Ansonsten verbinde ich den Schulbesuch der Kinder nicht mit Druck. Es gibt Dinge, die gehören zu ihren Aufgaben und da gehört Schule auch dazu. Das finde ich nicht verwerflich.
Trotzdem war dieses Jahr anstrengend. Wir können beide nur bedingt zu Hause arbeiten und wechseln uns so geht es geht ab. In Einzelfällen sind die Kinder auch mal alleine zu Hause. Aber das finde ich nicht gut. Ich kämpfe auch mit Job, Haushalt und Beschulung, und bin unendlich müde, aber mir scheint, ich bin tatsächlich sehr widerstandsfähig und belastbar. Manche Dinge hat die Pandemie für mich persönlich sogar entschleunigt. Mir tut es nur für alle Kinder dieser Welt unendlich leid. Ich kann tatsächlich vergleichsweise gut damit umgehen, aber Kinder sind wirklich am schwersten betroffen.
VG Anni
Hallo Andrea,
mein ältestes Kind ist auch in diesem Schuljahr eingeschult worden und wir haben das Glück, wirklich tolle Lehrerinnen zu haben. Ich hatte auch große Sorgen, wie das in diesem Jahr werden soll, aber ich bin positiv überrascht. Als die Schulen geschlossen waren, gab es viel Unterstützung. Fast tägliche Videokonferenzen, wöchentliche Telefonate mit allen Schüler*innen und es wurde immer gesagt, der Familienfrieden geht vor, machen Sie nur so viel, wie Sie schaffen. Und vor allem sagt die Klassenlehrerin immer wieder, wie toll die Kinder das alles machen. Und sie hat selber kleine Kinder zu Hause. Wie so oft hängt es also von den Personen ab, aber ich glaube, viele Lehrer*innen bemühen sich da sehr. Dennoch bin ich über den Wechselunterricht sehr froh, da es das Leben zu Hause sehr entspannt. Es tut mir sehr leid, dass das bei euch nicht so gut zu laufen scheint, aber weil ich so oft so schlechtes über die Schulen lesen, möchte ich auch mal was Gutes beisteuern.
Und obwohl mein Mann und ich das alles erstaunlich gut hinbekommen – was sicherlich auch daran liegt, dass wie beide nicht komplett Vollzeit arbeiten und er komplett im Homeoffice ist – schwinden mittlerweile sehr die Kräfte. Ich hoffe sehr, dass ihr einen Weg findet, um euch noch ein bisschen Kraft zu bewahren.
VG, Paula