Von zufälliger Spurensuche über meinen Opa
Kennt ihr das auch, dass ihr irgendeinen Gedanken im Kopf habt und dem nachgeht und Stunden später auf einer ganz anderen, aber mit dem Ursprungsgedanken doch noch zusammenhängenden Seite rauskommt? Mir geht das öfter so, aber dieses Wochenende hat es mich auf eine ganz neue Art und Weise erwischt.
Schönen ersten Advent, wünsche ich euch, und ich hoffe, die (Vor)Weihnachtszeit beginnt bei euch ganz gemächlich und schön. Verzeiht mir, dass es heute im Blog darum aber gar nicht geht. Stattdessen habe ich ein ganz anderes Thema im Blick, dass mich immer mal wieder anstößt, um es dann wieder monatelang ruhen zu lassen. Weil es kompliziert ist, und schmerzhaft, aktuell und lange her.
Ich habe Samstag Abend in der gerade erschienenen Graphic Novel „Adieu Birkenau„* gelesen (das geht im PDF das ich habe, leider etwas schleppend, und überhaupt ist das Thema ja auch keins, was man so in einem Rutsch durchliest) und ich dachte: Oh, was gibt es denn eigentlich noch für Comics oder Graphic Novels zu dem Thema. Ich fand „Zeit heilt keine Wunden“ und „Mies„*, ein Comic über das Leben von Mies van der Rohe.
Und nach der Recherche und dem Gedanken an einem Film von dem ich euch bald mehr berichten werde, bin ich dann irgendwie auf meine eigene Familiengeschichte zurückgekommen. Ich habe da hier auf dem Blog noch nie drüber geschrieben, aber ich habe mich in diesem Jahr zum ersten Mal intensiver mit meinem Opa auseinandergesetzt. Der war von 1939 bis 1945 in Buchenwald eingesperrt. Ich war bis zu diesem April noch nie in Buchenwald, dann aber im Sommer gleich nochmal mit den Kindern (aber vor den Toren, wir sind mit den Kindern natürlich nicht ins Lager gegangen, das war schon so recht viel für diese kleinen Menschen).
Jedenfalls führte mich meine Recherche von und zu Buchenwald dann irgendwie zu den Arolsen Archives, von denen ihr oben einen Screenshot seht. Vielleicht kennt ihr das alle schon, ich aber habe davon noch nie vorher gehört und natürlich nach meinem Opa gesucht. Es gab einige Dokumente, die mich doch recht kalt erwischt haben. Nicht, weil ich nicht wusste, dass mein Opa in Buchenwald war, darüber haben wir schon manchmal gesprochen. Sondern weil ich jetzt genau weiß an welchem Tag er das Lager betreten musste und an welchem er es verlassen hat. Die Nazis haben ja alles dokumentiert, so dass ich lesen kann wann er geimpft wurde, wie viel er abgenommen hat, dass er zwei Unterhosen, eine Hose und ein Paar Schuhe besaß.
Gleichzeitigkeit und Weltschmerz
Mich hat das umgehauen, wenn ich ehrlich bin. Und es macht auch immer noch was mit mir, dass es diese Gleichzeitigkeit von Leben gibt. Dass ich einerseits über den Horror dieser Zeit lesen kann, (und das Gefühl habe, es kommt manchmal so viel näher als wir uns eingestehen wollen) und gleichzeitig mit meinen Kindern die erste Kerze auf dem Adventskranz entzünde. Dass ich weiß, Millionen Menschen haben ihr Leben in Konzentrationslagern, auf Todesmärschen, im Ghetto, auf der Flucht verloren, und wir gleichzeitig zusehen, wie rechte Parteien überall wieder erstarken. Wie Donald Trump zum zweiten Mal als Präsident gewählt wurde und sein Unterstützer Nick Fuentes „Your Body, my Choice“ in der Wahlnacht in die sozialen Netzwerke schreibt. Während ich in relativer Sicherheit mit meinen Kindern über Hausaufgaben diskutiere, übers Abendessen, über meinen Geburtstag.
Ich weiß, dass wir nicht alle jeden Tag Weltschmerz haben können, das würde uns am Weiterleben hindern. Aber an diesem Wochenende spüre ich all das ein bisschen zu sehr. Zuviel Spurensuche in der eigenen Familie (wie gesagt, ich wusste doch, dass mein Opa da war, ich war vor Ort, es ist nicht wirklich neu – es erwischte mich einfahc nur auf eine neue Art) und vielleicht auch zuviele Gedanke in meinem Kopf. Zuviel „müsste ich nicht eigentlich X oder Y tun“ und gleichzeitig zuviel „aber der Alltag muss ja auch laufen“. Vermutlich kennt ihr das auch, dass es eigentlich ganz vieles gibt, worüber wir uns aufregen, wogegen wir laut sein, wo wir Kante zeigen müssten, und es doch nicht tun. Weil der Alltag eben auch da ist. Und niemand immer nur wütend und traurig sein kann.
Müsste ich nicht mehr tun?
Während ich das schreibe und versuche meine Gedanken hier irgendwie zu ordnen, merke ich, wie ich schon wieder wegdrifte. Hin zu: Es wird keine Museumssonntage mehr geben. Also natürlich kann man nach wie vor sonntags ins Museum gehen. Nur nicht einmal im Monat kostenfrei. Zum neuen Jahr wird diese großartige, so wichtige Aktion, die nicht nur viele finanziell benachteiligte Menschen unterstützt hat, sondern auch so enorm viel für Bildung getan hat, eingestellt. Die Mittel wurden gestrichen, wie an so vielen Stellen im Land. Müsste man eigentlich was machen. Müsste man laut sein, unbequem. Aber dann ist da auch noch das Leben und zieht mich mit sich. Das schmerzt mich, diese Gleichzeitigkeit. Dieses nicht auflösen können von inneren Konflikten, dieses nicht alles zu jeder Zeit machen können. Natürlich könnt ihr mir vorhalten: Mach doch mehr, da geht doch noch so viel mehr. Aber ich werde Gründe finden, warum es eben nicht geht. Wie wir alle. Ist das feige? Ich weiß es nicht. Menschlich ist es, soviel ist sicher. Bequem natürlich auch.
Muss Opas Vergangenheit nicht eine ständige Mahnung sein?
Ich wünschte, ich hätte jetzt hier words of wisdom, irgendein super schlaues Ende, was euch zeigt: SO kann es doch hier laufen. Habe ich aber nicht. Ich habe den Gedanken an meinen Opa, der überhaupt nicht den Luxus hatte zu sagen: Ich möchte heute aber nicht. Heute bleib ich mal liegen und mach mir einen faulen Sonntag. Was mir als Enkelin eine Mahnung und Verpflichtung sein müsste. Aber ich weiß auch: Diese Gleichzeitigkeit muss ich aushalten. Ich schaffe es an manchen Tagen nicht mal die Anforderungen, die Job, Kita, Schule oder Freund*innen an mich haben zu erfüllen. Wie kann ich da versuchen die Welt im Großen zu verändern?
Vielleicht im Kleinen anfangen?
Dann denke ich mir: Im Kleinen muss es doch anfangen. In meiner Familie, in meinem Umfeld. Vielleicht ist das am Ende dieses wirren Ritts hier die Lösung für den Moment: Im Kleinen anfangen und da schauen, was man anders machen kann. Und dann im besten Fall sich mit anderen zusammentun. Allein hält man das alles hier vermutlich sowieso nicht aus. (Kleiner Disclaimer an der Stelle vielleicht noch, für alle, die sich wundern: Ich schreibe das auf, wie es mir in den Sinn komm und drücke dann auf „veröffentlichen“. Das ist hier kein lang recherchierter Artikel, sondern das, was ich aktuell gerade fühle und schreiben will)
Kommt gut in die neue Woche. Und erzählt mir gern wie es euch gerade geht.