Sind Jungs-Mütter anders?

Schaut euch die beiden Bücher auf dem Foto mal genau an. Was seht ihr? Auf den ersten Blick zwei Bücher, die sich irgendwie mit Jungs beschäftigen. Inhaltlich könnten beide aber nicht unterschiedlicher sein. Und eins der Bücher macht mich echt sauer.

Das Leben mit Söhnen

Vor Kurzem war ich in der Bibliothek und entdeckte das Buch „Jungs-Mama“ von Heidemarie Brosche*. Es trägt den Untertitel „Jede Menge Anregungen für ein schönes Leben mit Söhnen“. Nun habe ich ja zufälligerweise zwei Söhne und dachte mir: „na komm, schau mal rein“. Ich bin ja bereit was dazuzulernen, lesen bildet und ja, ich mag die Bücher aus dem Kösel Verlag eigentlich ganz gern.
Nun kommt es öfter vor, dass ich Bücher ausleihe und sie dann doch ungelesen zurücktrage, weil ich es schlicht innerhalb der Leihfrist nicht schaffe, einen Blick hineinzuwerfen. Dieses Schicksal hätte dieses Buch vermutlich erlitten (und es wäre für mein Gemüt vielleicht auch besser gewesen), hätte Herr Annika nicht just an diesem Bibliothekssamstag angefragen zu brüllen. Ganze zwei Stunden lang. In meiner Verzweiflung griff ich nach dem Buch, ich erwartete irgendwie den einen weisen Rat, der mir jetzt sofort auf der Stelle begreiflich machen würde, was denn nun mit meinem Sohn gerade nicht in Ordnung war.

2 Jungen, 1 Mädchen – du bist keine echte Jungsmama

Das ist natürlich Quatsch, kein Buch der Welt kann ein akut schreiendes Kind irgendwie erklären und DEN Tipp geben, mit dem sofort alles besser wird. . Ich las aber weiter, die ganze nächste Woche, weil ich versuchen wollte zu verstehen wieso es solch ein Buch überhaupt gibt. Was ich aber zuerst lernen musste: Es wird mir relativ früh im Buch erklärt, dass ich keine echte Jungsmama bin. Ich habe nämlich auch noch eine Tochter und kann deswegen nicht verstehen wie das so ist, als einzige Frau im Haushalt. Ich bin nur eine halbe Jungsmama. Wieso es überhaupt wichtig ist sich so ein Label zu verpassen, nun, das habe ich beim Lesen nicht verstanden.

Klischees über Jungs am laufenden Band

Ich las also und ich ärgerte mich. Mein Mann bat mich mehrfach darum doch einfach mit dem Lesen aufzuhören, das wäre für den Familienfrieden irgendwie förderlicher. Denn ich regte mich sehr über dieses Buch auf. Weil da drin so ziemlich jedes Klischee bedient wird, was es in Bezug auf Jungs so gibt. Sie interessieren sich nicht so (sehr) für die „schönen“ Dinge wie Basteln oder Malen, sie sind eher grobmotorisch unterwegs, spielen alles, was mit Waffen und Ballern zu tun hat, sie fangen irgendwann an zu mastubieren (steht das eigentlich in irgendeinem Buch über Mädchen auch drin? Ich hoffe schwer, denn ich hoffe sehr, dass auch Mädchen ihren Körper kennenlernen!). Alles ist anders und so als Mutter kann man nur versuchen das irgendwie bestmöglich zu verstehen.

Sonderfall Jungs

Ok, es mag sein, dass es eine Zeit, ich denke da so an die Pubertät, gibt, in der ich meine Söhne vielleicht eventuell nicht mehr verstehe. In der sie Sachen mögen die ich nicht nachvollziehen kann, in der ihre Gruppe wichtiger ist als alles, was ich ihnen sage. Ich erwarte aber auch, dass das bei meiner Tochter in der Zeit nicht viel anders ist. Pubertät ist irgendwie ein Sonderfall. Was kein Sonderfall ist sind Jungs. Und leider all diese Klischees über sie. Sie sind so wild und so laut und so anders als Mädchen. Vielleicht habe ich hier einfach Pech (oder Glück, wie man es eben nimmt), aber hier ist das Mädchen dreimal so wild wie der Junge. Ja, er hat Wutausbrüche, die ich so von seiner Schwester in dem Alter nicht kannte. Dafür holt sie das jetzt eben mit fünf Jahren nach. Die nehmen sich da nichts.

Mit Jungs über Gefühle sprechen

Ich verstehe nicht, dass gerade ein Verlag der sich in meinen Augen immer für gleichberechtigte Erziehung einsetzt ein Buch publiziert das alles an Genderklischees mitnimmt, was es da so gibt. Da wird von Jungsgehirnen geschrieben, die so ganz anders sind als die von Mädchen. Weswegen Jungs in aller Regel eben nicht über ihre Gefühle sprechen. Können sie einfach nicht, ist alles Biologie. (Die Autorin gibt schon den Hinweis, dass wir Mütter dafür zuständig sind, dass es bei unseren Jungs dann anders ist, aber nun ja, wenn es nicht klappt ist halt die Biologie Schuld)

Männer reden über Gefühle

Es regt mich auf. Ich scheine in meinem Umfeld also all die Abweichungen der Regel zu kennen. Männer mit denen ich viel über Gefühle reden kann, die weinen, die trösten, die bis aufs Stillen alles für ihre Kinder tun. Die ihren Kindern beibringen sanft und liebevoll zu sein. Männliche Freunde mit denen ich vor Jahren, noch kinderlos, weinte und lachte und nächtelang geredet habe. Die sich nicht die Bohne für Fußball interessieren sondern ins Theater. (Und nein, die sind nicht schwul, sie sind nur einfach kulturell interessiert) Dass wir damals keine Kinder hatten und sie trotzdem so offen über Gefühle sprachen schreibe ich hier übrigens nur dazu um Kritiker_innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, dass Kinder Männer verändern würden.

Sind nur Jungs wild und laut?

Ich musste mich bis Seite 142 quälen um zu lesen, dass ich als (halbe) Jungsmutter doch keine Rollenklischees bedienen soll. Davor habe ich aber schon jede Menge von der Autorin selbst gelesen. Sie berichtet schon auch davon, dass sich Jungs kümmern können, um Pflanzen, aber naja, in der Mehrzahl sind Jungs offensichtlich robust und wollen kämpfen. Ich stelle überhaupt nicht in Abrede, dass es das durchaus auch gibt. Aber vielleicht ist das einfach im Kind veranlagt? Und lässt sich nicht per se am Geschlecht festmachen?
Aber, und das möchte ich nicht unerwähnt lassen: Ich habe auch ein Interview mit der Autorin gelesen, da fand ich sie sehr viel offener, freundlicher, authentischer. Und mehr darum bemüht eben keine Klischees zu bedienen. Das könnt ihr gern hier nachlesen: https://www.waz-online.de/Nachrichten/Wissen/Warum-kleine-Jungs-zu-Unrecht-einen-schlechten-Ruf-haben

Kinderbücher über sensible Jungs

Ich habe zur Rezension auch das Buch „Stories for Boys who dare to be different“ (unter dem Link findet ihr meine Rezension dazu) zugeschickt bekommen. Und wie ich beide Bücher so nebeneinander legte, da musste ich darüber nachdenken wie begrüßenswert es doch ist, dass sich der Kinderbuchbereich öffnet und nun neue Held_innen hier Einzug halten. Starke Mädchen, sensible Jungen. Alle dürfen alle Gefühle haben, dürfen stark und schwach, laut und leise sein. Viele Eltern wünschen sich das, der Kinderbuchbereich reagiert darauf vermehrt. Was von allen Seiten gefeiert wird. Nun gibt es also eine neue Kinderbuchliteratur und im Ratgeberbereich dagegen einen Rückschritt? Wie bedauerlich das wäre! Ich wünsche mir stattdessen Ratgeber für alle Eltern, die Eltern stärken, ihnen helfen die Erziehung ihrer Kinder zu entspannen. Die wirklich helfen Familien zu entspannen, statt auf irgendwelchen Diskrepanzen rumzureiten. Wie kann es sein, dass der Kinderbuchbereich soviel weiter ist, sich öffnet, während die Ratgeberliteratur in die entgegengesetzte Richtung wächst. Hier werden alte Stereotypen neu aufgelegt und alles, wofür u.a. auch ich seit Jahren stehe, untergraben. Kinder sind Kinder sind Kinder.

*Ich kann zum Buch übrigens keine weiteren Fragen beantworten, ich habe es selbstverständlich nach Lektüre sofort zurück in die Bibliothek gebracht. 

Wie seht ihr das? Braucht es Bücher für Jungs/Mädchenmütter? Was erhofft ihr euch von geschlechtsspezifischen Ratgebern? Und wie steht ihr zu Kinderbüchern in der Stärken und Schwächen einfach sein dürfen, ohne auf ein Geschlecht gemünzt zu sein?

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