Besser ohne Hilfe – ist das die Zukunft?

Oh man, ehrlich, ich bin es so leid. Mir steht es bis ganz oben und ich mag einfach nicht mehr.
Worum es geht? Oberflächlich betrachtet um Schwangerschaft im öffentlichen Raum. Aber eigentlich geht das Thema viel tiefer, denn am Ende des Tages geht es vor allem um fehlende Empathie und eine Gesellschaft die irgendwie nicht mehr gewillt zu sein scheint sich für die Schwachen, Hilfe- und Schutzbedürftigen einzusetzen.

Schwanger in der Bahn

Gestern war ich mit der Bahn unterwegs, mitten im Berufsverkehr. Es war presswursteng voll, nervig, unschön. Ich hing an einer dieser Haltestangen und versuchte nicht umzukippen. Mit der anderen Hand schirmte ich meinen Bauch gegen die schiebenden, schubsenden Menschen ab, die ein- und ausstiegen, sich einen Stehplatz suchten. Ich glaube die meisten wissen wovon ich rede. Es war einfach ätzend.

Schon anstrengend, so ne Schwangerschaft, oder? 

„Sag mal, so eine Schwangerschaft, die ist schon ziemlich anstrengend, oder?“ fragt mich auf einmal so ein Typ. Und grinst dabei von einer Wange zur anderen. Denn er saß ja, während ich eben stand und versuchte die Übelkeit, die mich ob der vielen Gerüche überkam im Zaum zu halten. Ich starrte perplex zurück. Was genau wollte er mir denn damit sagen? Das fragte ich, und er meinte, dass er das nur so „interessehalber“ wissen wolle. Seinen Platz angeboten hat er mir nicht. Und mir fiel auch nichts mehr ein, was ich darauf erwidern sollte. Zum Glück war ich kurz danach endlich am Ziel.

Könnt ihr bitte einen Platz frei machen?

Vor Kurzem war ich mit beiden Kindern unterwegs. Ich finde es immer schwierig wenn die Kleinen sich nirgendwo richtig festhalten können und suchte deswegen nach einem Platz für sie. Es gibt ja in allen Bahnen extra ausgewiesene Plätze für Menschen, die diese (nahe der Tür) brauchen. Sie sind in Berlin mit einem blauen Kreuz versehen. Auf diesen Plätzen saßen drei junge Frauen, Anfang, Mitte Zwanzig. Ich sprach sie an, bat freundlich darum einen der Plätze freizumachen.

Sprachlos

„Kann ich doch nichts dafür, wenn du dich ständig ficken lässt!“ war die Antwort. Und ich sprachlos. Soviel Verachtung ist tatsächlich selten. Einer der Frauen war es dann doch peinlich, sie stand auf, die Kinder setzten sich. Und meine Tochter schaute zu mir hoch und sagte „Mama, pass auf, du nimmst Herrn Annika auf den Schoß und ich stehe hier direkt neben dir. Dann kannst du dich auch ausruhen. Das Baby ist ja auch schwer.“ und sie stand auf.

Hab doch Verständnis

Das sind zwei kleine Beispiele der letzten Wochen, die verdeutlichen können wie mir als Schwangere in Berlin begegnet wird. Beide Erlebnisse teilte ich in den sozialen Medien und die Reaktionen sind sehr unterschiedlich. Es gibt die, die sich aufregen, Mitgefühl zeigen und von ebenso schockierenden Erlebnissen berichten.  Was mich wütend macht. Da wird von Schwangeren erwartet, dass sie aufstehen und Platz machen, Himmel!
Und es gibt die, die um Verständnis werben. Weil es ja sein könnte, dass die Menschen aus meinen Begegnungen selbst Hilfe brauchen könnten. Und wisst ihr was, das mag ja sein. Aber sorry, dann kann man das sagen. Normal, ruhig. Aber doch nicht so.

Platz gibts nur nach Aufforderung

Davon abgesehen werde ich wirklich sauer, wenn von mir immer verlangt wird, dass ich Verständnis aufbringen muss. Es geht mir nicht darum, dass jede_r sich sofort erheben muss, sobald er/sie eine Schwangere, einen älteren Menschen, kleine Kinder erblickt. Aber verdammt noch mal, dieses nervös auf den Bildschirm starren (ja, ich sehe das, wenn ich mich nährere, dass ihr nicht wollt, dass ich euch anspreche), das kotzt mich an. Und auch, dass ich immer aktiv werden muss. Ob ich nun vor dem Platz mit dem blauen Kreuz rumstehe oder gehbehinderter Mensch, ein älterer Mensch oder ein Elternteil mit Kleinkind, freiwillig steht niemand auf.

Sieht so die Zukunft aus?

Jetzt könnt ihr sagen: Ach, hör auf zu jammern. Und vielleicht habt ihr Recht. Aber diese Vorfälle sind ja duchaus sympthomatisch. Wer steht denn heute noch auf wenn ältere Mitmenschen einen Platz brauchen? Wer fragt ob er der Omi mal kurz helfen kann? Wer verdreht nicht die Augen wenn kleine, lärmenden Kinder im Alltag auftauchen. Und wenn man dann noch helfen soll…. Ach, lieber nicht. Die anderen können das ja vielleicht machen.

Wir werden alle älter und brauchen Hilfe

Aber es ist ja auch so: Vielleicht wollen nicht alle Kinder, werden schwanger. Aber wir alle werden alt. Oder kommen in Situationen in denen wir Hilfe brauchen. Genau deswegen macht mich dieses empathielose Verhalten aber so sauer. Denn wenn wir aufhören uns für andere einzusetzen, mitfühlend zu sein und eben sozial zu interagieren, dann stirbt unser Miteinander. Wir brauchen das aber, dieses Miteinander.
Mich machen diese Begegnungen, die ich oben beschrieb wütend, traurig, nachdenklich. Ich bekomme Bauchschmerzen wenn ich daran denke wohin das noch führen könnte. Wie sich unsere Gesellschaft weiterentwickelt, hin zu weniger Mit-, mehr Gegeneinander.

Zum Schluss noch was Schönes

Ich weiß, dass diese Begegnungen nur ein kleiner Ausschnitt ist, und ja, ich erlebe auch anderes. Menschen, die meinem Sohn zuzwinkern und ihm sagen, was für ein toller kleiner Kerl er ist, weil er ihnen ins Gesicht strahlt. Ein älteres Ehepaar, dass sich nach 50 Jahren auf Spurensuche begibt und Händchen haltend in der Straßenbahn sitzt und in Erinnerungen schwelgt. Natürlich gibt es auch das Gute. Ich sorge mich nur, dass das eben immer mehr verschwindet und stattdessen ein „Jede_r ist sich selbst der Nächste“ um sich greift.

Wie seht ihr das? Was erlebt ihr mit Kindern, Schwangerschaftsbauch, älteren Menschen im Gepäck? Berichte ich von Einzelfällen?

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8 Antworten

  1. Anonym sagt:

    Unglaublich. Aber leider die Realität! Und kein Einzelfall!
    Auch ich war in Hamburg mit Kleinkind und hochschwanger in der vollen S-BAHN unterwegs. Es steht niemand mehr auf. Die Gleichgültigkeit und Angestumpftheit in unserem Land/ oder nur in den Großstädten ist erschreckend.
    In Spanien beispielsweise springt sofort jemand auf, wenn ältere Menschen oder Schwangere einsteigen.
    Oder helfen beim Ein-Austeigen mit Kinderwagen und Kleinkind.
    Hier in Deutschland gucken die Leute extra weg, oder sind genervt, dass Familien einsteigen.

    Liebe Grüße Thies

  2. Anonym sagt:

    Wir wohnen in einer süddeutschen Stadt und ich bin auf dem Land aufgewachsen. Wo ich aufgewachsen bin, da passiert sowas nicht, weil jeder jeden kennt. In unserer Stadt ist es schon eher so, dass die Leute ichbezogen agieren und die anderen übersehen. Die überwiegenden Erfahrungen als Schwangere und mit Kinderwagen und Kleinkind unterwegs sind aber positiv.
    Mein Mann ist beruflich ab und zu in Berlin und findet das egoistische Verhalten im öffentlichen Bereich dort extrem. Und zwar von allen Beteiligten. Er war dort ohne Kind unterwegs und wurde fast von einem Kinderwagen überfahren. Die schiebende Dame muss reichlich unverschämt geworden sein. Kinder, Schwangere und andere hilfebedürftige Menschen bekommen das natürlich noch deutlicher zu spüren.

  3. Jenny sagt:

    Was du da beschreibst, ist unter aller Sau – aber ich habe genau solche Frechheiten auch schon gehört. In Berlin. Einer Stadt, die ich eigentlich sehr mag… Keine Ahnung, was manchen Leuten hier morgens in den Kaffee fällt, aber in solchen Situationen würde ich sooo ausrasten und zurückbrüllen!! Boah, ich bin schon beim Lesen auf 180 gekommen… Lass dich nicht runterziehen, Liebes, und filtere die schlechten Erlebnisse einfach raus!

    LG
    Jenny

  4. Edelnickel sagt:

    Das sind definitiv keine Einzelfälle. Während der Schwangerschaft musste ich um den Platz in der Straßenbahn kämpfen. Die Schlimmsten waren dabei alte Frauen (denen ich den Sitzplatz sicher nicht weggenommen hätte) und junge Männer. Ich habe es oft erlebt, dass ich schnell überholt und manchmal sogar weggeschubst wurde. Samt großem Babybauch. Auch noch im 9. Monat.

    Und dann gibt es solche Spezis, die einem ungefragt und ohne Vorwarnung an den Bauch fassen. Das ist einer Freundin öfter passiert, mir zum Glück nie, sonst würden hier jetzt einige einhändige Menschen umherlaufen.

    Toll ist auch, wenn man den Platz, der extra für Kinderwagen vorgesehen ist, erbetteln muss – und zwar schnell, der Fahrer will ja auch weiter. Ich fahre dabei extra nie zu den Stoßzeiten.

    Das freche Gör mit dem unfassbar dummen Spruch hätte von mir allerdings was zu hören bekommen. Aber ich weiß, in dem Moment ist man erst einmal baff.

    P.S.: Ich stehe übrigens auch für andere auf.

  5. Mama 2.0 sagt:

    Ich habe bei meinen bisherigen Bahnfahrten in Berlin immer das Gegenteil erlebt: kurz nach dem Einsteigen wurde mir ein Platz angeboten, den ich dankend ablehnte, weil ich demnächst wieder aussteigen wollte. Geht also glücklicherweise auch anders 🙂

  6. Anonym sagt:

    Schrecklich einfach!!!! Es gibt einfach so viele selbstbezogene Menschen. Ich fahre eigentlich gar nicht mehr in die nächstgrößere Stadt. Oft habe ich das Gefühl, ich lebe hier in einer geschützten Blase und ganz ehrlich, nach jedem Stadtbesuch freue ich mich auf meine Kleinstadtidylle, denn vom Kinder anschreien auf offener Straße, etc. ist hier einfach Fehlanzeige. Zum Glück!!!! Öffentlich fahre ich zB gar nicht mit Kindern. Es ist mir zu stressig.

  7. Ich denke, dass es ätzende Menschen immer gab und immer geben wird und wir das nicht ändern können… Wir sollten uns auf das Schöne und Gute konzentrieren. Ich habe die Hoffnung jedenfalls noch nicht aufgegeben^^, auch wenn ich in überfüllten Bussen die gleichen Gedanken hatte.

    Meine Erklärung für die Bussituation: Unwissenheit/Unbedachtheit (Sie wissen nicht, dass eine Schwangere den Platz gut gebrauchen könnte) und Unaufmerksamkeit. Bei manchen sogar Scham (Sie trauen sich nicht den Platz anzubieten; ist die Frau überhaupt schwanger?).
    Doof ist es in jedem Fall.

  8. Anonym sagt:

    Solche Verhaltensweisen fallen mir auch täglich auf. Ich wohne im ländlichen Teil einer Großstadt an der Grenze zu den Niederlanden und fahre häufig mit meiner Tochter im Kinderwagen Bus. Unfassbar, wie viele Tage mir das schon versaut hat. Rentner, die der Meinung sind, dass sie mit Rollator Vorrechte haben, sind an der Tagesordnung und am schlimmsten. Da fällt es mir oft schwer, Verständnis für deren Situation aufzubringen. Direkt danach kommen jedoch gut angezogene Menschen mittleren Alters. Beides Gruppen, von denen ich mehr Verständnis und Verstand erwarten wurde, aber nein zusätzlich erhält man noch ungefragt Erziehungstipps und den Kommentar, mit kleinen Kindern müsste man nicht so viel raus und sollte lieber die Zeit zuhause genießen! An stressigen Tagen nehme ich daher lieber gleich das Auto, um meine Nerven zu schonen.

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