Breitscheidplatz
Um 21:20Uhr kommt die erste Nachricht, von einer Leserin über Facebook. „Geht es euch gut?„
Ich bin verwundert, denn ich habe den Abend über zwar mit einer Freundin gechattet, aber nebenbei gearbeitet. Keine Nachrichten verfolgt.
Von nun an geht es im Minutentakt, in den sozialen Netzwerken, per SMS, per Mail. Und immer die gleiche Frage: Geht es euch gut?
Ich schaue in den Nachrichten was passiert ist. Mir bleibt kurz das Herz stehen. Das, was ich da lese, das kann, das darf doch nicht sein. Im „Heute Journal“ wird vor falschen Anschuldigungen gewarnt. Vor voreiligen Schlüssen. Ich bin gar nicht in der Lage irgendwelche Schlüsse zu ziehen. Ich bin einfach nur erstarrt.
Geht es euch gut?
Pling, Pling, Pling: Geht es euch gut?
Ja, es geht uns gut. Körperlich jedenfalls. Wir sind unversehrt. Meine Kinder schlafen friedlich in ihren Betten, träumen von dem schönen Tag den sie hatten. Mein Mann schreibt an einem Post für den Blog und hört Musik, ich arbeite und freue mich auf unsere Pläne in 2017, von denen ich der Freundin erzähle.
Mit Kindern auf dem Weihnachtsmarkt
Und dann, diese Zäsur. Oberflächlich hat sich für mich ja nichts geändert. Aber tief drinnen, da eben schon. Denn wir waren heute mit dem Runzelfüßchen auf dem Weihnachtsmarkt. Sie hatte es sich sooo sehr gewünscht. Und wir auch. Zu viert auf den Weihnachtsmarkt. Als Familie. Endlich, Weihnachten zu viert. Mit allem was dazugehört. Zu viel Essen, zuviele Kekse, zuviel Weihnachtsmusik.
Weihnachtsmann
Und auch: Weihnachtsmarkt. Um 16:30Uhr, mit Kinderpunsch und gebrannten Mandeln. Mit Kinderkarussell und Weihnachtsmann. Mit einer ganz ehrführchtigen Tochter, die meine Hand ganz fest drückt als sie den Weihnachtsmann erblickt und die sich nur traut ihm über den Mantel zu streichen, ihm aber nicht die Hand zu geben.
Karussell, gebrannte Mandeln, Kinderpunsch
Das Runzelfüßchen hat diese Zeit heute auf dem Weihnachtsmarkt geliebt. Zum ersten Mal fuhr sie eine Runde Karussell, juchzte vor Freude, schob sich Mandel um Mandel in den Mund, so dass kaum noch das Abendbrot in ihrem kleinen Bauch Platz fand. Glücklich und zufrieden schlief sie ein, im Traum ganz bestimmt den Tag Revue passierend. Ich war ganz gebannt von ihrer Freude. Denn auch wenn es kitschig ist, vielleicht sogar ein Klischee, es ist ein wahres: Weihnachten mit Kindern ist magisch. Dieser Glanz in ihren Augen der all das Licht widerspiegelt. Diese Lebensfreude.
Sorgen
Geht es euch gut? Ja, denn uns ist nichts passiert. Wir waren lange zuhause bevor all das geschah.
Geht es euch gut? Nein, denn ehrlich: Was soll ich dem Runzelfüßchen sagen, wenn sie wieder nach dem Weihnachtsmarkt fragt? Wenn sie wissen will wieso solche Dinge geschehen? Und: Wie gehe ich damit um, dass ich niemals verhindern kann, dass so etwas nicht auch meinen Kindern geschehen kann.
Es geht uns gut
Ich beginne selbst Nachrichten an Freunde zu schicken, rufe meine Familie an. Es geht uns gut, es geht uns gut. Aber tut es das? Ich fühle mich gelähmt. Habe keine Worte für meine Hilflosigkeit. Habe keine Ahnung was ich meinem Kind sagen werde. Denn zur Zeit ist alles Spekulation. Das auszuhalten ist schlimm. Und doch wichtig. Denn nichts wäre fataler als Gerüchte zu streuen.
Und so werde ich meine Kinder einfach fest umarmen und ihnen all meine Liebe schenken. Jeden Tag. Denn ich bin so unfassbar dankbar, dass sie da sind. Und, dass es uns gut geht.
Mir fehlen gerade einfach die Worte…ich habe es gar nicht mitbekommen gehabt, hatte keine Nachrichten an, war am E-Mails lesen und bekam Deinen Post rein und lese das. Es ist unfassbar…gut das es Euch gut geht. Warum muss es sowas immer wieder geben? Egal wie es passiert ist, die Angehörigen tun mir so leid, niemandem sollte jemals so etwas passieren, der Verlust ist nicht wieder gut zu machen. Ich drücke Dich ganz lieb.
Mich hat das auch sehr aus der Bahn geworfen gestern Abend. Wir haben auch Familie in Berlin, waren erst im Oktober in Berlin zu Besuch und sind geschockt…ich ringe nach Worten aber finde nicht die richtigen um auszudrücken, wie nah mir das alles geht.
Nun ist es also auch hier passiert – ganz nah bei uns. Aber was uns bleibt ist die Hoffnung und Zuversicht. Nur wir und unsere Kinder können die Welt zu einem besseren Ort machen. Wir dürfen nicht zulassen, dass diese Menschen Macht über uns erlangen. Wir müssen weitermachen, laut sein gegen Terror, Gewalt und Unrecht.
In diesem Sinne: auch ich bin froh, dass es all´ meinen Lieben und den vielen tollen Blogger-Kollegen in Berlin gut geht. Meine Gedanken sind bei den Ofern und Angehörigen.
Liebe Grüße, Anna
Liebe Nicole,
danke dir für deine Worte. Es ist schlimm, auch, weil es so unvorbereitet getroffen hat. Und die Familien der Opfer, das muss so schlimm sein.
Und doch denke ich: Wir dürfen uns von all dem Hass nicht auffressen lassen. Sondern müssen zusammenhalten. Ich habe heute irgendwo gelesen, dass man sich in so dunklen Stunden immer anschauen soll wie viele Menschen denn helfen. Selbstlos. Daran denke ich gerade viel.
Passt auf euch auf!
Liebe Anna,
mit dem Ringen nach Worten bist du nicht allein. Das geht mir genauso. Und genau wie du denke ich: Unsere Kinder sind unsere größte Chance. Und gleichzeitig denke ich: Aber was ist mit den geflüchteten Kindern? Wie viele Chancen haben sie, nachdem sie so viel durchmachen mussten.
Die Angehörigen und Familien der Opfer, über die so viel weniger berichtet wird als über all die Spekulationen, das trifft mich sehr.