Interview mit Mama denkt: Wie wir mit uns nicht so streng sind

Nachhaltigkeit im Familienleben, das ist ja gar nicht so einfach. Weil ich da noch ganz schön viel lernen kann habe ich mal bei Rachel angefragt. Sie schreibt auf „Mama denkt“ über ihren Weg und gibt jede Menge Tipps rund um die Themen Achtsamkeit und nachhaltiges Leben.
Für dieses Interview hatte ich einen konkreten Aufhänger, aber beim Lesen werdet ihr merken: Rachel hat einen ganz tollen Blick auf das Leben, da sind die Themen irgendwie oft auch miteinander verwoben.

Liebe Rachel, stellst du dich mal bitte kurz vor?

Hallo, liebe Andrea und hallo ihr lieben Runzelfüßchen-Blogleser. Wie schon gesagt, mein Name ist Rachel und ich bin vieles. Zum einen Mutter dreier Kinder, Bloggerin auf MamaDenkt, diplomierte Sozialarbeiterin, unterwegs in Sachen Nachhaltigkeit und begeistert von ökologisch wertvollen Ideen.
Zum anderen mag ich es Dinge zu durchdenken, ja, der Blogname ist Programm, und im Anschluss konkret umzusetzen. In den vergangenen Jahren haben wir viel vom Minimalismus gelernt, haben unseren Besitz reduziert, unsere vier Wände ausgemistet und gelernt auf unser Herz zu hören. Wir sind noch nicht an dem Punkt, den ich mir für uns als Familie wünsche. Aber das kommt und wenn ich eins gelernt habe, dann mir und meiner Familie keinen Druck zu machen, sondern gut mit uns umzugehen. Was passt, das passt. Dinge, die sich nicht in unserem Alltag umsetzen lassen, werden erst einmal verschoben und zu einem anderen Zeitpunkt auf andere Weise ausprobiert.

So, ich habe ja ganz konkrete Fragen an dich. Und ich hoffe sehr, du kannst mir helfen. Ich habe vor ein paar Tagen gedacht: jetzt oder nie, ich entrümpel mal einen klitzekleinen Teil meines Lebens und griff zum Handy. Denn ich gebe zu: Da sammelt sich über die Jahren ganz schön was an. Kennst du das auch?

Aber natürlich. Wenn ich da an meine Bilder auf meinem Handy denke… Junge, Junge.

Beim Löschen von über 100 Kontakten dachte ich: Wieso ist das denn nur so schwer, hier mal zu entrümpeln? Wieso, glaubst du, hängen wir an Kontakten die wir jahrelang nicht kontaktiert haben?

Puh,… wieso hängst du an einem Kleidungsstück, das dir schon längst nicht mehr passt, weil es viel zu groß oder, in meinem Fall, viel zu klein ist? Wieso fällt es dir schwer das erste gemalte Bild eines deiner Kinder, oder den ersten Strich oder was auch immer in die blaue Tonne zu werfen?

Ich denke, das hängt in erster Linie damit zusammen, dass Vieles von dem, was wir besitzen, oft nicht nur eine Sache oder ein Material ist, wie zum Beispiel das Stück Papier mit verschieden angeordneten Farbpigmenten. Oftmals verbinden wir damit eine Erinnerung an einen Moment, ein Gefühl oder auch an einen Menschen. Daher sind deine Kontakte in deinem Handy nicht nur irgendwelche Zahlenkombinationen verknüpft mit einer Buchstabenfolge. Oft sind es Menschen, die dir zu einem bestimmten Zeitpunkt, an einem gewissen Ort und zu einem besonderen oder nicht besonderen Anlass ihre Nummer gegeben haben. Das ist das eine.

Das andere, und das schließt sich unmittelbar daran an: Der Kontakt war sehr nett, sonst hättet ihr die Nummern nicht ausgetauscht. Ihr hattet vielleicht eine gute Zeit, gute Gespräche, gemeinsame berufliche Interessen oder Ideen, dieselbe Wellenlänge oder befandet euch an einem ähnlichen oder ganz verschiedenen Abschnitt eures Lebens. In irgendeiner Form machte es Sinn in Kontakt zu bleiben, auch wenn es letztendlich nicht dazu kam. Diese Dinge machten den Nummerntausch bedeutend, wichtig oder sinnvoll. Dann kommt beim Aufräumen des Handys schon mal der Gedanke auf, dass auch nach ein, zwei Jahren des „nichts voneinander Hörens“ der Kontakt ja dennoch nochmal schön, wertvoll, effektiv oder brauchbar sein/werden könnte. Man weiß es ja nicht.

Und wie wird das einfacher, dieses Loslassen, aussortieren?

Dieses Loslassen wird einfacher, wenn wir uns darauf einlassen. Mit einlassen meine ich, dass wir uns Zeit nehmen zu hinterfragen. So, wie du es jetzt in Form dieses Interviews machst. Allerdings sind das meine Antworten, die ich damals für mich gefunden habe und mit denen ich mich auch heute noch immer wieder neu auseinandersetze(n) (muss).

Ich für mich habe gelernt und lerne immer noch: Ich brauche mich nicht festzukrallen. Loslassen bedeutet für mich heute viel Freiheit, Freiraum und tatsächlich Durchatmen. Das tut mir sehr gut und mein Blick hat sich wieder neu auf das Wesentliche, für mich Wesentliche fokussiert. Daher fällt mir Aussortieren und Loslassen ein bisschen leichter.

Meine Herangehensweise sieht grob wie folgt aus: 1. Zeit nehmen. 2. Was sagt der Kopf? 3. Was sagt das Herz? 4. Wenn beides übereinstimmt, lasse ich los. Manchmal aber auch nicht.

Ist es einfacher etwas physisches, wie sagen wir mal, ein Kinderzimmer auszuräumen?

Du willst es wirklich wissen, ja?! Also, ich glaube tatsächlich, dass es einfacher ist, Physisches auszumisten und zu entrümpeln als Freundschaften oder bestimmte Verhaltensmuster. Letzteres erfordert meistens einen weiteren Schritt: Das sich Vergegenwärtigen oder aber auch den Mut, eine Beziehung und damit einen Menschen ziehen zu lassen. Da gibt es bestimmt aber auch unterschiedliche Empfindungen und Einschätzungen. Ich persönlich finde es schwieriger als mich in eines unserer Zimmer zu stürzen und radikal auszumisten. Eine Verhaltensweise, wie zum Beispiel zu allem immer Ja! zu sagen, abzuändern, erfordert, Zeit, Geduld und Sanftmut zu sich selber.

Wie machst du das denn? Ich mochte deinen Vortrag auf der „denkst“ so gern, weil du immer wieder betont hast, dass es eben keinen perfekten Weg gibt.

Ich probiere aus. Dabei scheitere ich oder habe Erfolg. In den vergangenen sieben Jahren bin ich tatsächlich zu jemandem geworden, der total gerne Dinge ausprobiert ohne den Anspruch an mich oder meine Familie zu haben, dass das klappt oder funktionieren muss. Zu Anfang war das noch anders. Ich war verhalten und konnte Dinge nicht anfangen, weil es ja funkionieren musste. Damit kam ich einfach keinen Schritt vorwärts. Das ist heute anders.
Als Familie, als Eltern und als Partner probieren wir aus und versuchen erstmal keine zu hohen Erwartungen zu haben. Dann wird Resüme gezogen und meistens geht es motiviert weiter. Das macht Spaß und schärft den Blick.

Wie verzeiht man sich die kleinen Unzulänglichkeiten, die man eben so an den Tag legt?

Scheitern ist menschlich. Und wenn wir keine Fehler machen bzw. Unzulänglichkeiten erleben, wie sollen wir denn dann über uns hinauswachsen?!!
Ich bin jahrelang immer sehr streng mit mir gewesen. Für mich war es ein Aufatmen und ein Befreiungsschlag mich von diesem Umgang mit mir selbst Stück für Stück zu befreien. Der Minimalismus und das Entrümpeln meines Besitzes hat mir dabei sehr geholfen. Ich lernte loszulassen und wurde in vielem souveräner.
Ich halte mich an Misserfolg nur solange wie nötig auf, um daraus zu lernen. Dann geht es weiter.

Das Thema deines Blogs „Mama denkt“ ist ja Achtsamkeit im Familienalltag. Da passt das Thema Handy ja irgendwie doch ganz gut. Was wäre denn hier achtsam? Sich das immer verbieten finde ich doof, aber immer in der Hand haben ist ja auch nicht so toll, oder?

Meinen persönlichen Handykonsum, das Lesen von Nachrichten, das Absetzen eines Tweets, das Tickern bei Instagram und so weiter und so weiter sind Dinge, die mir aktuell nicht gefallen. Irgendwann hatte ich mal die Regelung für mich: Ich schaue dreimal am Tag bewusst aufs Handy – nicht zu den Mahlzeiten – und nehme mir Zeit für diesen Teil meines Lebens. Auch meine Kinder wussten zu diesen Zeiten, Mama macht gerade Pause oder bloggt. Von immer verbieten halte ich auch nichts. Letztendlich wird es das Bedürfnis nach meinem Handykonsum ja nur noch verstärken.

Weil ich aber merke, dass das Handy in der Hand tatsächlich wie eine Wand zwischen mir und meinen Kindern wirkt, war und ist mir diese Regelung so wichtig. Ich bin in den Momenten nicht voll da, weil meine Aufmerksamkeit der Welt da draußen komprimiert auf meinem 60qcm großen Handydisplay gerichtet ist.

Es ist folglich ein aktuelles Thema auch für mich und weil ich eben blogge und viel auf meinen SocialMediaKanälen unterwegs bin, arbeite ich daran, diese Regelung wieder in einer passenden Form umzusetzen.

Neben dem Aktivieren meines Flugmodus oder dem Nicht-Installieren des Facebook-Messengers lasse ich mein Handy manchmal bewusst dort liegen, wo es mir nicht permanent in die Finger fällt. Das sind so kleine Hilfestellungen, die ich mir an die Hand gebe, wenn ich merke, dass ich das Handy mal wieder viel zu oft in der Hand habe. In der Interaktion mit meinen Kindern, versuche ich mein Handy weitestgehend liegen zu lassen. 

Was ist für dich momentan wichtig?

Für mich und meine Kinder ist mir wichtig, dass sie nicht mit Verboten groß werden, sondern einen gesunden und achtsamen Umgang mit den Dingen finden. Dabei meine ich nicht nur physischen Besitz, sondern eben auch Umgangsweisen mit digitalen Medien oder womit sie ihre freien Zeiten füllen, wofür sie diese Augenblicke oder Zeitspannen nutzen. Das erscheint mir heutzutage und auch in Zukunft eine der bedeutenden Kompetenzen, um sich in einer Vielzahl an Unterhaltungs- und Konsumangeboten zurecht zu finden, ohne sich zu verlieren.

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