Von falschen Illusionen

Wisst ihr, seit einiger Zeit beschleicht mich ein komisches Gefühl wenn ich mich in den sozialen Netzwerken so umgucke. Denn irgendwie hat jede_r, der/die dort aktiv ist immer irgendwas zu tun. Da wird von Projekten geschrieben, neuen Ideen, Aufträgen und überhaupt totaler Überarbeitung.

Krank sein kann man sich nicht leisten, weil ja soviel liegen bleibt und nicht warten kann und die neuen Projekte ja nun wirklich mal angeschubst werden müssen. Gefühlt werden um mich herum nur noch Bücher geschrieben, Ideen gelauncht, Erfolge gefeiert.
Und ich? Ich betrachte das alles verwundert von außen. Und komme mir komisch vor.

2017 war stressig

2017 war ein sehr stressiges Jahr für mich. Ich habe tatsächlich in der zweiten Hälfte (dann nämlich, als die Elternzeit meines Mannes vorbei war) eigentlich nur noch gearbeitet. Erfahrungsgemäß werden Kinder ab spätestens Oktober aber dauern krank, so dass es Nachtschicht um Nachtschicht gab und ich sehr auf meinem Zahnfleisch kroch. Als im Dezember alle Aufträge abgearbeitet waren, da war ich froh, mir fiel ein Stein vom Herzen. Endlich Zeit.

Höher, schneller, weiter

Dann kam der Januar, ich setzte mich hin, fing an, an meinem Geburtsbuch zu arbeiten und mich auf unseren Urlaub zu freuen. Klar arbeitete ich meine Aufträge ab, aber mehr unternahm ich nicht. Und daran hat sich bis jetzt auch nichts geändert. Kurz durchzuckt es mich und ich denke: Sollte ich mich nicht kümmern? Sollte ich nicht auch höher, schneller, weiter wollen? Machen alle anderen doch scheinbar auch.

Wir zeigen, was wir zeigen wollen

Aber irgendwie ist es ja auch so: Die sozialen Netzwerke sind nur das, was wir gern darstellen wollen. Und da sieht Leerlauf natürlich nicht so wahnsinnig toll aus. Das „Business as usual“ verkauft sich auch nicht wirklich gut, wenn man doch eigentlich soviel mehr erreichen möchte.
Ich frage mich, wann das angefangen hat, dieses „mehr Schein als Sein“. Versteht mich nicht falsch, ich gehe nicht davon aus, dass alle Welt lügt. Aber ich denke schon, dass manches Projekt vielleicht einfach nur normaler Alltag und nicht der ganz neue große Auftrag ist. Und das ist ja auch ok.

Druck aus den sozialen Medien

Was ich aber an mir merke ist dieser Druck, den ich latent verspüre, dass ich doch auch mehr machen und wollen sollte. Wenn scheinbar alle nach mehr streben, bin ich dann nicht furchtbar faul, wenn ich eben nicht nach noch mehr und noch mehr Aufträgen suche?
Für den Moment habe ich beschlossen, dass das, was ich mache gut genug ist und auch meine Auftragslage ganz ok ist. Das ist bei Selbstständigen ja immer so ein Ding. Aber ja, ich nehme das, was um mich herum geschieht schon zur Kenntnis, und es macht was mit mir.

Mütter-Vorbild aus Social Media

Wie ist das, was mich auf einer beruflichen Ebene ein wenig anpiekst dann in den privaten Bereich geht? Wenn sich Mütter unzulänglich fühlen, weil ihnen ja in den Sozialen Medien die Mama mit den Drillingen jeden Tag wie frisch aus dem Ei gepellt aussieht, während an ihr selbst Zahnpasta, Babybrei und der Schlaf der letzten Woche hängt. Da lässt sich das unschöne Gefühl, die nagenden Zweifel nicht so einfach wegschieben. Denn klar, am besten ist es, bei sich selbst zu bleiben aber gerade im ersten Babyjahr ist das ja nicht so einfach. Da wollen ja viele die Bestätigung, dass auch andere der Schlafmangel, das Weinen, die neue Rolle zu schaffen machen.

Bekomme ich es hin?

Die Illusionen auf Instagram helfen da nicht weiter. Stattdessen wecken sie Schuldgefühle, weil man es selbst nicht hinbekommt. Ist das die Schuld der Postenden? Nein! Aber es ist auch nicht die Schuld der Konsumierenden. Es ist einfach ein neuer Umstand, dass wir am Leben von vollkommen Fremden teilnehmen. Und es ist unsere Entscheidung was davon wir beneiden, für gut befinden, wertschätzen. Bei der Auswahl wem wir folgen sollten wir vielleicht ein wenig selektivier vorgehen und nicht aus falsch verstandenener Loyalität an den Profilen hängen, denen alle folgen, die aber nicht zu unserer Lebenswelt passen.

Wie ist das bei euch? Bekommt ihr manchmal schlechte Gefühle wenn ihr durch eure Timeline scrollt?

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5 Antworten

  1. Anja sagt:

    Nicht mehr soooo… weil ich meine eigene Definition von einem "erfolgreichen Leben" gefunden habe & diese mich gewissermaßen frei gemacht hat �� Diese Freiheit beinhaltet übrigens auch, mein Ego ab und an mal dezent zu bitten, einfach die F… zu halten ���� Ja, soziale Medien sind ein gutes Lernfeld für mich und ich danke Dir, dass Du Deine persönlichen Beobachtungen so ehrlich thematisiert hast!

  2. Andrea sagt:

    Liebe Anja,

    ich glaube, es ist immer das Beste bei sich selbst zu bleiben. So wie du sagst eben zu definieren was für DICH erfolgreich ist. Das klappt bei mir auch meist ziemlich gut. Aber gerade ist da eben der Gedanke, vielleicht aus der völligen Überarbeitung vom letzten Jahr heraus einen "Leerlauf" zu spüren, der aber gar nicht da ist. Und dann piekst mich das irgendwie an, diese vielen Projekte. Und statt bei mir zu bleiben und mir zu sagen, dass alles gut ist wird es irgendwie ungut. Weißt du, was ich meine?

  3. Andrea sagt:

    Das ist eine gute Idee, sich ganz bewusst auch Accounts auszusuchen, bei denen klar ist, dass sie gestellt sind.
    Und ich finde du kriegst da eine ganze Menge unter den Hut. Klingt aber nicht nach Angeben, sondern ganz normalem Alltag, der eben gewuppt werden muss, auf den man aber auch stolz sein kann. Viermal umsteigen wäre übrigens mein Horror. 😀
    Ich drück euch die Daumen für einen Kitaplatz!

  4. Ich lese schon seit einiger Zeit deinen Blog und das sehr gern.
    Ich muss sagen ich habe mich bis vor 2 Jahren auch noch extrem unter Druck gesetzt gefühlt immer alles perfekt unter einen Hut zu bekommen und sowohl auf privater als auch beruflicher Ebene erfolgreich zu sein aber vorwiegend für die anderen. Es war mir extrem wichtig was andere von mir halten und denken. Es musste in meinen Augen alles perfekt sein: der Haushalt, die Kinder, meine Ehe und meine berufliche Ebene. Für die anderen. Ich hatte immer das gefühl unter ständiger Beobachtung meines sozialen Umfelds zu stehen, das nur darauf wartet das ich "Fehler" mache. Dabei habe ich vergessen auf mich zu achten. Erst mit der Geburt von Kind nr. 5 und einer beginnneneden Wochenbettdepression (mittlerweile überstanden)habe ich gemerkt das es nur darauf ankommt was ich möchte und was für mich gut ist und womit ich zufrieden bin. Das war ein langer Lernprozess.
    Ich schaue noch immer gern die vermeintlich perfekten "Welten" anderer an. Aber das sind ja nur Auszüge aus dem Leben und man weiss ja nie welch Schicksal wirklich dahinter steckt. Ich für mich gönne es den anderen und hole mir hier und da Inspirationen. Aber ich versuche nicht mehr den Ansprüchen anderer gerecht zu werden sondern nur noch meinen. Und das tut meiner Familie und mir gut. Gewiss habe ich noch so einige Ziele aber die werden nach und nach angegangen, so wie ich es schaffe. Wichtig ist dabei für mich mein Ziel nicht aus den Augen zu verlieren.
    Was ich damit sagen möchte, es kommt nur darauf an was einem selbst gut tut, was man selber möchte. Und nicht auf das, was die anderen erwarten.

  5. Kerstin sagt:

    Theoretisch ist es ja so einfach… suche dir nur Profile, die dich nicht stressen. Lasse dich nur inspirieren von den schönen Bildern. Mach dir keinen Druck blubb.
    Und auch wenn man in unserer kuscheligen kleinen Elternbloggerwelt umherschaut, die natürlich ganz pastellfarbene Lifestyleblogs enthält, weißt du wie ich, dass es da ganz viel echtes Leben gibt. (Mein letzter Text ging über ganz greifbare Kinderarmut, der letzte auf dem Blog von Tanja über Stress & Müdigkeit)
    Praktisch kennt das JEDER. Ich auch. Ständig. Gerade wenn ich selber nicht ganz ausgeglichen bin. Die anderen (Blogger) schreiben soviel, haben soviele neue Projekte am Start! Ich selbst (du weißt es zu gut!!!) komme seit Monaten nicht über Ideen hinaus. Andere machen schöne Bilder und alles sooo gelungen!
    Die anderen Mamas aus dem Bekanntenkreis unternehmen viel mehr mit ihren Kindern. Sie gehen aus – alleine – mit Mann – mit Kindern. Alle außer uns verreisen ständig. Die Andrea war neulich mit Familie in Thailand unterwegs! Und wir? Wir sind müde. Total müde…

    Das theoretische Wissen von dir und mir wird uns nie vor diesem Druck bewahren. Aber wenn man es theoretisch weiß, kann man sich das auch ganz praktisch immer mal wieder vor Augen führen.
    Und darüber schreiben! Ich mag deinen Text. <3

    Lass uns bald wieder telefonieren. Bald!
    Deine Kerstin

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