Fehlgeburten: Eine zweifache Sternenkinder-Mama erzählt

Ich will gar nicht viele Worte im Vorfeld verlieren, weil dieses Interview so sehr für sich steht. Es geht, das als „Warnhinweis“ nochmal erwähnt, um Fehlgeburten. Pass auf dich auf, ob du diesen Text gerade lesen möchtest.

Tomma hat zwei Kinder verloren und berichtet sehr offen darüber. Weil es wichtig ist, dass wir auch mehr über die Kinder sprechen, die nicht geboren werden. Ich bin Tomma sehr dankbar für ihre Offenheit, ihren Mut und ihre Zeit, meine Fragen zu beantworten.

Liebe Tomma, für alle, die dich nicht kennen, stell dich doch mal bitte vor.

Ich liebe es, lange und ausführlich zu frühstücken, bin ein absoluter Familienmensch (wozu ich meine besten Freunde ebenfalls zähle), gehe gern an den Strand oder in den Wald, tanze und kickboxe. Ich bin mit mir selbst ungeduldig und wahrscheinlich mein größter Kritiker. Beruflich bin ich seit über acht Jahren selbständig und habe eine Kommunikationsagentur für die Themen, die mir auch persönlich am Herzen liegen: Kids- und Familien-, Food- und Sportmarken.

Neulich hast du einen sehr berührenden Post geteilt. Du hast dich tattowieren lassen. Möchtest du darüber etwas erzählen?

Ich habe schon länger darüber nachgedacht, mir ein drittes Tattoo stechen zu lassen. Doch für mich müssen Tattoos eine persönliche Bedeutung haben. Die ersten beiden sind an Stellen, die für andere nicht oder nur selten sichtbar sein. Mein neuestes Tattoo hingegen ist am Handgelenk und damit präsent. Ein bewusstes Zeichen …

Es ist nun etwas mehr als ein Jahr her, als mein größter Wunsch in Erfüllung ging: Ich war schwanger. Doch nach sehr kurzer Zeit bekam ich die Nachricht, dass die Schwangerschaft nicht intakt sei. Für mich brach eine Welt zusammen. Ich wollte schon immer Kinder, hatte mich wenige Monate zuvor aus einer gesundheitlichen Hölle gekämpft und nun wartete die nächste große Herausforderung auf mich. In Abstimmung mit meiner Ärztin entschied ich mich dafür zu warten, bis die Schwangerschaft von allein endete – ohne Eingriff, ohne Medikamente. Zu dem Zeitpunkt wusste ich nicht, dass es noch Wochen dauern würde, bis ich wirklich Abschied nehmen konnte. Nie hätte ich gedacht, dass eine Fehlgeburt mir so den Boden unter den Füßen wegziehen würde. Und dass es sehr lange dauern würde, bis der Riss im Herzen ein Stückchen heilt.

Nach Fehlgeburt wieder schwanger

Ich hatte großes Glück: Ein halber Jahr später war ich wieder schwanger. Doch dieses Mal schwang ab Minute eins die Angst mit, dass etwas schief gehen könnte. Dementsprechend versuchte ich, meine Freude möglichst zu unterdrücken. Damit die Trauer nicht noch einmal so groß sein würde. Als ob man das beeinflussen könnte 😉 Gleichzeitig machte ich mir genau deshalb Vorwürfe. Als ich beim Ultraschall das erste Mal den Herzschlag meiner Tochter hörte, zerbrach die Mauer und ich konnte gar nicht glauben, dass ein solch kleines Wesen schon einen so klaren Herzschlag hat. Als ich das nächste Mal zu meiner Ärztin fuhr, hatte ich kein gutes Gefühl. Immer wieder kam der Gedanke, dass das Herz nicht mehr schlagen würde. Ich versuchte den Gedanken beiseite zu schieben. Doch was eben noch Angst war, sollte sich bei der Untersuchung bestätigen. Meine Ärztin konnte keinen Herzschlag mehr finden. Ein Kollege kam und bestätigte den Tod meiner Tochter. Bereits am nächsten Morgen wurde ich operiert. Ich fühlte erneut diese unendliche Traurigkeit. Und konnte die Welt nicht mehr verstehen.

Ein paar Tage nach der zweiten Fehlgeburt habe ich mich tättowieren lassen. Das keltische Symbol für Mama und Kind, kombiniert mit dem Herzschlag meiner Tochter, einem Punkt für ihr großes Geschwister, zwei Vögel, die für Freiheit stehen und das Symbol der Unendlichkeit. Als Zeichen meiner unendlichen Liebe für die beiden.

Nun bist du zweifache Sternenmama. Die erste Fehlgeburt ist nun ein Jahr her. Deine Tochter wäre im April geboren worden. Wie geht es dir damit?

So schwer es fällt: Mir ist es wichtig, offen damit umzugehen. Denn der Schmerz endet nicht nach einer Woche. Für Außenstehende meist schon. Und ich kann es keinem verübeln. Ich selbst hätte nie gedacht, wie tief der Schmerz geht und was eine Fehlgeburt mit uns Frauen macht.

Fehlgeburt zerreißt mir das Herz

Es gibt Tage, an denen scheint es unwirklich, jemals schwanger gewesen zu sein und dann gibt es Tage, an denen von jetzt auf gleich durch einen winzigen Auslöser der Schmerz mehr als präsent ist und ich das Gefühl habe, dass mein Herz zerreißt. Ohne Vorwarnung. Es gibt selten Tage, an denen ich nicht an die beiden denke. Ich bin davon überzeugt, dass sie irgendwo und irgendwann ein schönes Leben führen werden. Das zumindest wünsche ich ihnen. Und noch immer empfinde ich Stolz. So komisch sich das anhört.

Mit jedem Versuch schwanger zu werden, wächst aber auch die Angst, dass sich mein größter Wunsch nie erfüllen wird. Und gleichzeitig werden Gedanken laut, die schwer zu ertragen sind. Vorwürfe, die ich mir mache. Selbstzweifel, ob ich nicht gut genug als Mutter wäre und die Überlegung, ob ich nicht doch „einfach“ hätte schwanger werden sollen, statt es nun allein zu versuchen. So viele Frauen werden schwanger, obwohl der Partner es nicht will oder ohne dass der Mann davon weiß. Ein für mich persönlich nicht tragbarer Weg und doch fühle ich mich manchmal so, als würde ich für meine Ehrlichkeit bestraft.

Fehlgeburt: Tomma im Interview
Bildnachweis Rainer Jensen

Fragen über die Fehlgeburten

Immer wieder werde ich gefragt, warum ich nicht einfach mein Ding durchgezogen habe oder auch jetzt durchziehe und oops – „einfach“ schwanger werde. Und ja, manchmal kommt die Frage, was jetzt wäre, wenn ich genau diesen Weg in meiner Ex-Beziehung gegangen wäre. Ich werde gefragt, was der Grund für meine Fehlgeburten seien. Ob ich mir all das wirklich noch einmal antun mag. Ob es vielleicht dazu kam, weil ich zu den Zeiten Sorgen hatte. Ob ich mir zu viel zumute, ob ich nicht besser warten solle, bis sich vielleicht doch noch der passende Partner findet. All die Gedanken sind lieb gemeint. All die Fragen suchen nach Gründen. Gründen, um das Geschehene zu verstehen. Doch sie befeuern die Selbstzweifel noch einmal mehr. „Du musst deine Kinder loslassen.“ Ehrlich gesagt muss ich das nicht. Und ich habe bewusst ein Tattoo gewählt, denn die beiden gehören zu meinem Leben dazu. Und nun ist das Erlebte im wahrsten Sinne des Wortes unter meiner Haut.

Ich liebe Kinder. Ich bin 3-fache Patentante. Arbeite in genau dieser Branche. Im Haus unserer Agentur ist eine Kita. Auf dem Weg dorthin gehe ich (zumindest in coronafreien Zeiten wieder) an drei weiteren vorbei. Jedes Kinderlachen bestätigt mich in meinem Wunsch und gleichzeitig erinnert es mich an meine Kinder. Es gibt Tage, an denen bin ich dankbar für die Erfahrung der Schwangerschaften und das Gefühl der bedingungslosen Liebe einer mom. Und dann gibt es Tage, an denen ist genau das unerträglich.

Was gibt dir in dieser Zeit Halt und Kraft?

Das ist eine gute und zugleich schwere Frage. Ich hatte jobbedingt leider bei beiden Fehlgeburten nicht wirklich die Zeit, all das zu verarbeiten. Hinzu kommt, dass ich im vergangenen Jahr nicht nur Abschied von meinen Kids nehmen musste, sondern auch einen lieben Menschen an Krebs verloren habe und so manche berufliche und gesundheitliche Hürde zu nehmen hatte. Es ist tatsächlich der große Wunsch einer eigenen Familie, der mir die Kraft gibt, nicht aufzugeben. Ich treibe viel Sport und schau, dass ich vieles von dem mache, was mir gut tut und genau weglasse, was mir Kraft raubt. Das ist jetzt, zu Coronazeiten, natürlich stark eingeschränkt. Und die aktuelle Zeit als Selbständige eine zusätzliche Herausforderung, die es zu stemmen gilt. Kürzlich hab ich ein paar meiner Gedanken aufgeschrieben und am Ende gemerkt, dass es eine Art Brief an mich war. Zu einem komplett anderen Anlass: nämlich zur aktuellen Pandemie. Das Briefende erinnert mich an meine Stärken. Genau diesen Abschnitt lese ich, wenn Zweifel und Ängste wieder größer werden.

Offener Umgang mit Fehlgeburten

Eine große Hilfe für mich sind die Erfahrungen anderer und mein offener Umgang – auch wenn es noch immer zunächst Überwindung kostet, damit auch öffentlich umzugehen. Doch nur dadurch habe ich so viele Nachrichten bekommen. Erfahrungen anderer, die ähnliches erlebt haben. Es hilft zu wissen, dass ich mit meinen Gedanken und Ängsten nicht alleine bin. Und dass Zweifel dazugehören. Es ist erschreckend, wie viele Eltern Fehlgeburten erleben. Erschreckend ist aber auch, dass es noch immer ein Tabu ist, obwohl so viele den Schmerz erleben. Wenn darüber berichtet wird, dann häufig nur, dass Person A oder B eine Fehlgeburt hatte. Doch was es mit Eltern und insbesondere den Müttern macht und wie lange es dauert, bis die Wunde ein kleines bisschen weniger weh tut – darüber sprechen nicht viele. Das wird meiner Meinung nach auch dadurch verstärkt, dass „man“ in den ersten 12 Wochen einer Schwangerschaft besser nicht darüber spricht. Warum nicht? Warum dieses große Glück nicht teilen? Weil es schief gehen kann? Warum den Schmerz alleine bewältigen? Das Skurrile: Ich kann es sogar verstehen. Und gleichzeitig setze ich mich dafür ein, dass es kein Tabu mehr ist. Versteh mich nicht falsch: Jede Frau soll selbst entscheiden, ob sie darüber reden mag und mit wem. Doch keine Frau sollte aus Angst schweigen. Für die meisten ist eine Fehlgeburt ein traumatisches Erlebnis. Ein Erlebnis, das nicht besser wird, wenn eine Frau mit dem Schmerz allein gelassen wird.

Ich habe das große Glück, dass mich meine engsten Freunde in meiner Offenheit unterstützten und auch jetzt noch, Monate nach den Fehlgeburten, meine Gedanken und Ängste ernst nehmen. Dass sie meine Schwangerschaften und damit meine Kids nicht vergessen und darin bestärken, meinen Traum nicht aufzugeben.

Findest du, dass wir mehr über Sternenkinder sprechen sollten? Was fehlt dir? Was ist dir zuviel?

Ich finde, es sollte kein Tabu mehr sein. Und ja: Auch wenn viele darüber reden, es ist nach wie vor ein Tabu. Nochmal: Ich bin der Meinung, dass jede Frau, jeder Mann selbst entscheiden sollte, ob und wie offen sie/er darüber spricht. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen, dass es helfen kann. Sowohl die eigenen Gedanken auszusprechen, als auch die Erfahrungen anderer zu hören. Die Krux ist leider, dass es niemand verstehen kann, der es nicht selbst erlebt hat. So sehr ich solche Aussagen im Grunde nicht leiden kann. Doch in diesem Fall stimmt es. Auch ich habe früher anders über Fehlgeburten gedacht. Hätte nicht gedacht, dass schon so früh in der Schwangerschaft eine solch enge Bindung entstehen kann. Dass die Erfahrung einen wahrscheinlich ein Leben lang begleitet. Dass die Zeit rund um den Geburtstag eine schwere ist. Dass Schwangerschaften im Freundeskreis Freude und Schmerz zugleich verursachen. Einige haben mir erzählt, dass Freundschaften zerbrochen sind. Mein Wunsch ist es, dass wir offener damit umgehen. Offen erzählen und ehrlich, wenn auch mit Vorsicht, fragen. Und verstehen, dass eine Fehlgeburt nicht mit der Heilung des Körpers „beendet“ ist. Gerade deshalb sollten wir sehr umsichtig mit der Frage umgehen, ob jemand Kinder möchte oder nicht. Ob eine Frau schwanger sei oder nicht. Niemand sieht, was eine Frau bei diesem sehr persönlichen und emotionalen Thema bereits erlebt hat. Es ist ein schmaler Grat.

Sprachlos bei Fehlgeburten

Ich merke, dass mir oft die Worte fehlen. Weil ich nicht weiß, was ich sagen soll wenn mir Frauen erzählen, dass sie ein Kind verloren haben. Hast du einen Tipp gegen die Sprachlosigkeit?

Was spricht dagegen, genau das zu äußern? Warum nicht offen damit umgehen, dass man sich hilflos fühlt? Warum nicht schreiben: Ich denk an dich, auch wenn mir gerade die Worte fehlen? Wagen nicht sagen, dass man nicht weiß, wann es ok ist, darüber zu sprechen und wann man ggf. eine Wunde wieder aufreißt? Ich bin mir sicher, dass jede Frau anders reagiert. Anderes braucht. Aus meiner Sicht ist alles besser als zu schweigen. Alles ist besser als zu vergessen. Ich selbst weiß im Vorfeld auch nicht, wann ich darüber reden mag und wann nicht. Ob ich in einer Woche Kinder um mich haben kann oder besser nicht. Aber ich sag es in den Augenblicken mittlerweile offen. Auch wenn es noch immer alles andere als leicht ist. Es hilft, wenn Eltern akzeptieren, wenn es für die Person gerade schwer ist, Kinder um sich zu haben. Es wird auch wieder andere Tage geben. Das Wichtigste für alle: Ehrlichkeit. Nur so kann Verständnis entstehen. Und eine dicke Umarmung: Die hilft bekanntlich meistens.

Ich habe über Bücher für Sternenkindeltern schon mal geblogt, vielleicht findest du hier auch etwas Trost?

Habt ihr auch Sternenkinder? Sprecht ihr viel darüber? Was hat euch geholfen?

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3 Antworten

  1. Svea Inga sagt:

    Liebe Andrea, danke für dieses Interview, liebe Tomma, ich fühle deinen Schmerz! Ich bin selbst Sternenmama eines kleinen Jungen, still geboren in der 16. SSW. Ich rede offen darüber und habe das Gefühl, die Leute möchten nichts zu diesem Thema hören. Nicht wahrhaben, dass das passieren kann. In unserer Gesellschaft wird dieses Thema nicht öffentlich besprochen. So viele reden nicht einmal mit ihrer Familie darüber, traurig! Unser Junge wäre diesen Sommer 3 Jahre alt geworden, er wird immer zu uns gehören, wie seine Brüder in meinen Armen. Und auch ich möchte mir ein Tattoo für ihn stechen lassen. Ohne ihn wäre ich nicht die, die ich heute bin. Viele Grüße von Svea

    • Tomma sagt:

      Liebe Svea.

      Danke für deine lieben Worte. Und wie schön, dass auch du offen mit deinen Erfahrungen umgehst. Ich bin mir sicher, damit machst du anderen Mut, zeigst, dass wir mit unseren Gedanken nicht alleine sind und stärkst andere Frauen in ihrer schweren Zeit. Danke dafür.

      Alles Liebe
      Tomma

  2. Andrea sagt:

    Liebe Svea,
    es tut mir leid, ich schaffe es nicht immer sofort alles freizugeben. Deine Kommentare sind einfach durchgegangen. Aber sie sind ja nicht verloren und jetzt auch da. Ich bin auch nir ein Mensch, es tut mir leid.
    Liebe Grüße,
    Andrea

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